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Predigt

03.11.19 – Armin Kistenbrügge – Vorsintflutliche Zustände

Armin Kistenbrügge: Predigt am 03.11.2019 über Genesis 8

Liebe Edinger (Greifensteiner) Geschwister,

Das Klima ändert sich. Der Umgangston wird rauer. Die einen schreien die anderen nieder. In der Uni. Und die anderen machen in ihren Kommentaren auf Facebook nicht ihrem Herzen Luft, sondern ihrem Darm. Der Unflat ist der neue Umgangston. Du kriegst das kalte Grausen, weil du in die Köpfe der Dumpfbacken gucken kannst, weil sie hier schreiben, was sie wirklich denken. Manchmal möchte ich mich verkriechen. Und nichts sehen, hören oder mitkriegen, was draußen passiert. Und mich sicher und geborgen fühlen. Wenn draußen die Welt untergeht. Dann will ich drinnen sitzen in meiner Höhle. Oder in einer Arche.

Vielleicht lieben Kinder die Geschichte mit der Arche Noah auch deshalb so gerne, weil man in der Arche sitzen kann, während es draußen regnet. Wie in so einer Höhle. Eigentlich aber doch komisch, dass es diese Geschichte sogar so weit gebracht hat, dass es dafür ein Playmobil-Set zum Spielen gibt. Dabei müsste eigentlich auf der Packung einen Warnhinweis stehen: „Vorsicht, die Original-Geschichte Kindern nur unter elterlicher Aufsicht vorlesen!“

Denn der Hintergrund der Story, die mit dem schönen Regenbogen endet, ist ziemlich düster. Richtig vorsintflutlich eben. Gleich am Anfang der Bibel wird klar, dass die Menschen, die Gott vergessen, auch verlernen, wie man in Frieden mit sich und den anderen und der Umwelt lebt. Und Gott registriert das ganz nüchtern. „Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. (Gen 6,5)

Bis Gott irgendwann keinen Bock mehr hatte: Die Menschen waren nicht mehr wiederzuerkennen. Von seinem Ebenbild war nicht mehr viel zu sehen. Die Züge des Menschen waren gierig. Stolz. Maßlos.

Das hatte er nicht gewollt. Also lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. „Das mache ich nicht nochmal“, sagte Gott zu sich. Und widerrief seine Schöpfung. Indem er sie wegspülte. Mit einer Sintflut. Bloß einer sollte übrigbleiben: Noah. Stand auf der grünen Wiese und hämmerte an einem Boot. Einem Riesenboot. Die Nachbarn kamen zum Gucken und feixten. Für sie gab es nichts Bescheuerteres, als auf Gott zu hören und seine Zeit mit Zukunftsvorsorge zu verplempern, wo man doch in der Zeit auch zocken, reich werden, Fremde mobben oder es einfach krachen lassen konnte, als gäb‘s kein Morgen und „nach mir die Sintflut“. Bis es anfing zu regnen und immer klarer wurde, dass das Klima grundlegend feuchter geworden war.

Wenn ich unseren Planeten sehe, habe ich manchmal den Eindruck, dass wir auch in so vorsintflutlichen Zeiten leben. Nur dass bei uns nicht mehr so viele Tiere auf die Arche müssten. Die meisten sind sowieso schon aus­gestorben. Also Insekten brauchen wir auf die Arche nicht mehr mitzunehmen. Dass der Meeresspiegel steigt und das Klima sich ändert, ist ja schon so gut wie ausgemacht. Aber das interessiert die Vollidioten überhaupt nicht, die es gerade mal schaffen, an sich selber und ihren Spaß zu denken und jetzt erst recht auf ihren Anspruch auf Billigflüge in den Süden pochen und grölen: „Scheißegal, Malle ist nur einmal im Jahr“, oder sie treffen sich Freitags zu „Fridays for Hubraum“ und denken überhaupt nicht dran, was zu ändern. Und bei den anderen macht sich echte Weltuntergangsangst breit. Die nennen sich „extinction rebellion“, also Aufstand gegen die eigene Auslöschung. Wir sind mindestens so vernagelt wie die Zeitgenossen von Noah. Das ist der Grund, warum ich mich manchmal verkriechen möchte. Am besten in einer Arche.

Aber während Kinder sich kuschelig einen Platz auf der Arche suchen würden, wenn man die Geschichte nachspielt, bekomme ich beim Nachdenken Zweifel. Ich weiß einfach nicht, wo ich in der Sintflutgeschichte hingehöre. Aus welcher Perspektive müsste ich uns die Geschichte heute erzählen? Wo siehst du dich, wenn du dir die Geschichte ins Gedächtnis rufst? Stehst du draußen und siehst sie davonschwimmen? Siehst du beim Erzählen oder Zuhören aus den schweren Regenwolken hinab auf das kleine Boot im endlosen Wasser und fängst an nachzugrübeln über soviel Vernichtung und so wenig Rettung? Oder hockst du wie die Kinder gemütlich in der Arche? Kannst du dir das vorstellen, die Kirche hier als Arche? (Vielleicht dann, wenn die Konfis von oben Tiergeräusche von sich geben.) So weit hergeholt ist der Gedanke übrigens nicht, das möchte ich euch heute zeigen.

Wenn wir hier drin sitzen, in unserer Archen-Kirche, und draußen prasseln die Wolkenbrüche auf das Dach, unter uns schwankt der Boden, dann geht es mir so, dass ich irgendwie ein schlechtes Gewissen behalte: Warum soll denn gerade ich einen Platz hier im Rettungsboot verdient haben? Bin ich denn besser als die draußen? (Also mein Anteil am Klimawandel ist genauso groß: Ich hab ne Ölheizung im Keller, fahre Auto, fahre in den Urlaub, und mein Lieblingsgericht ist was mit Rindfleisch, das ist Gift fürs Klima) Bin ich nicht so was wie ein blinder Passagier auf der Arche? Also so einfach will mir das nicht gelingen zu sagen: Wir hier drinnen – die Bösen draußen, ein Glück.

Das sind meine gemischten Gefühle, ich weiß nicht, ob ihr als Mitpassagiere in der Arche die teilt. Meine Freude ist deshalb nicht ungetrübt beim Ausgang der Geschichte, wenn der Regen einem Regenbogen weicht und die Luke aufgeht. Wenn wieder Land in Sicht ist, und wir wieder festen Boden unter den Füßen bekommen. An dieser Stelle nun, am Schluss der Sintfluterzählung, liebe Passagiere der Arche, steht der Predigttext aus der Sintflutgeschichte, den ich euch vorlesen möchte: Genesis 8, die Verse 18-22.

„Da kam Noah heraus, er, seine Söhne, seine Frau und die Frauen seiner Söhne. Auch alle Tiere kamen, nach Gattungen geordnet, aus der Arche, die Kriechtiere, die Vögel, alles, was sich auf der Erde regt. Dann baute Noah dem Herrn einen Altar, nahm von allen reinen Tieren und von allen reinen Vögeln und brachte auf dem Altar Brandopfer dar. Der Herr roch den beruhigenden Duft, und der Herr sprach bei sich: Ich will die Erde wegen des Menschen nicht noch einmal verfluchen; denn das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an. Ich will künftig nicht mehr alles Lebendige vernichten, wie ich es getan habe. Solange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

So wie Noah nach dem Unwetter feiern wir hier auch Gottesdienst: noch drinnen in unserer Arche, aber auch vor einem Altar, und auch unter einem nassen, graublauen Himmel. Wir hören Gottes Worte, von seiner Reue beim Anblick der Menschen auf der Erde.

Aber der feste Boden des Vertrauens ist noch wacklig, weil man ja nicht weiß, ob Gott sich doch wieder anders entscheidet, wenn er uns sieht, so wie wir sind. Aber bei seinem Gottesdienst hört Noah, wie Gott noch einmal sagt: „Das mache ich nicht noch mal.“ Er widerruft seine Zurücknahme. Gott sieht auf den Menschen und es reut ihn. Noch einmal; aber diesmal sieht er sie anders als vorher. Er sieht kleine, betende Menschen, die trotz ihrer Untauglichkeit für ihre Rettung danken. Und für die Erde beten. Er sieht Noah, der ja auch nicht besser ist, der trotz seiner Rechtschaffenheit doch nur ein Mensch ist. Gleich danach steht in der Bibel zum Beispiel, wie Noah besoffen im Zelt liegt. Und hinterher seine Söhne ausschimpft. Die nur ihren Vater vor einer peinlichen Situation bewahren wollten. (Gen 9,20-25) Den haben also auch nicht seine Qualitäten als besserer Mensch gerettet, sondern sein Gehorsam, als er hörte: „Geh und bau dir einen Kasten.“ Noah ist nicht anders als Adam und nicht anders als wir. Und seine Nachkommen erst recht nicht. Sem, Ham und Jafet halten so wenig zusammen wie Kain und Abel. Den Turmbau in Babel erzählt die Bibel übrigens gleich im übernächsten Kapitel. Nach der Sintflut ist also wie vor der Sintflut. Bis heute.

Aber beim Anblick dieses Archen-Gottesdienstes reut es Gott. Was ist diesmal anders, so anders, dass du dich wirklich darauf verlassen kannst, dass sein Wort gilt? Diesmal sieht Gott sich selbst. Sein Herz. Er sieht nicht auf die Menschen alleine, ihre guten und schlechten Motive, das böse und das elende, das schöne und das hässliche, und erwartet, dass sich die Menschen nach der Katastrophe ändern und bessern und von jetzt an immer artig sind. Aus Angst, die Katastrophe könnte sich wiederholen. Gott sieht sich selbst. Ins Herz. Das ist jetzt der Grund seiner Reue. Und so wird hinter Gottes Reue, noch tiefer im Herzen Gottes, seine Treue erkennbar. Er merkt, wie er diesen kleinen, bösen, betenden Menschen eben doch riechen kann. “Der Mensch, der ist ein dummes Vieh. Ich lieb ihn trotzdem irgendwie“, hat mal ein Kabarettist gesagt. Deshalb sagen wir in jedem Gottesdienst: „Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, (kann es ein Konfi auswendig weiter?) der Himmel und Erde gemacht, der Bund und Treue hält und nicht preisgibt das Werk seiner Hände.“ In jedem Gottesdienst.

Gottes Treue reicht tiefer als Gottes Reue. Seine Treue überspannt den Abgrund, den die Sintflut sichtbar gemacht hat: Einen Gott, der Leben schafft und es noch schneller wieder vernichten kann. Das ist ein Abgrund, der unser Vertrauen ins Bodenlose fallen lassen würde. Aber Gott entscheidet sich für seine Treue und bindet sich daran. Ohne jedes Wenn und Aber. Unser Vertrauen, dass uns der Himmel nicht noch einmal auf den Kopf fällt und der Boden unter unseren Füßen schwankt, darf sich jetzt auf Gott und sein Versprechen berufen. Mit diesem Versprechen steht und fällt Gott selber. Der Regenbogen, sein Zeichen für diese Treue, ist sozusagen der Ehering Gottes für seinen Bund mit der Schöpfung. Und Gott ist treu, nicht hartherzig und kündigt den Ehevertrag irgendwann wieder. Im Gegenteil, selbst die zerrüttete Beziehung hält er aus, den fortgesetzten Betrug des Menschen. Leute, das ist das einzige Argument, das mich davon abhält, Weltuntergangspredigten zu halten. Die Welt geht nicht unter. Auch wenn wir nichts unversucht lassen, es so weit kommen zu lassen, uns selber auszulöschen. Gott vollendet, was er angefangen hat. Das steht fest.

Denn Gott bleibt treu. Sich. Und seiner Welt. Obwohl die Geschichte nach der Sintflut kein Neuanfang ist und unter besseren Vorzeichen steht. Nach der Sintflut geht es nämlich weiter wie vor der Sintflut. Gott weiß das, und hat sich dennoch entschieden, den Weg mit den Menschen nicht abzubrechen, sondern ganz zu Ende zu gehen.

Und diesmal soll es nicht mehr nur ein einziger sein, der gerettet wird. Nein, diesmal ist es bloß einer, der den Fluch der Sintflut auf sich lädt. Der sich sozusagen ins Donnerwetter stellt, ohne Regenschirm. Der sozusagen für alle anderen absäuft. Der an unserer Stelle ganz hinabgetaucht ist ins Dunkel, bis auf den Grund. Das habe ich mir nicht ausgedacht, in den Evangelien wird Jesus‘ Tod und Auferstehung mit dem Schicksal des Propheten Jona verglichen. Also untergegangen wie in der Sintflut und wieder hochgezogen. Jeus ist untergegangen, um Leute zu retten, als Menschen­fischer. Der sitzt nicht mehr in seiner Arche und macht die Schotten dicht, sondern nimmt uns mit in sein Boot. Der sammelt die Menschen ein, die sich draußen irgendwie über Wasser zu halten versuchen. Seine Arche ist ein Schiff für die aus dem Wasser Geretteten und heißt Christengemeinde. Die Bordkarte kannste dir weder kaufen noch verdienen. Du hast sie geschenkt bekommen. Als er dich gerettet hat.

Und du sitzt drinnen und darfst dich freuen. So wie die Kinder, die die ganzen Zwischengedanken noch nicht brauchen, um sich über den sicheren Platz auf dem Schiff zu freuen. Also willkommen an Bord! Ihr braucht keine Angst mehr vor dem Wasser zu haben. Oder vor irgendwelchen Weltuntergängen. Denn das Wasser hat das Bedrohliche verloren. Es ist das Wasser der Taufe geworden.

Denn wer getauft ist, der ist sozusagen „aus dem Wasser gezogen“ und in die Arche versetzt. Ihr schüttelt vielleicht den Kopf über diese schräge Verbindung. Unsere Kirche als Arche vorstellen, das geht vielleicht noch, aber dann wurde die Arche das Boot von Jesus, und jetzt soll die Taufe auch noch was mit der Rettung vor der Sünd-Flut zu tun haben? Aber Leute, so steht es noch in Luthers Taufbüchlein im sogenannten Sintflutgebet (evtl. a.d. Agende vorlesen): „Allmächtiger, ewiger Gott. Du hast durch die Sintflut nach deinem strengen Gericht die ungläubige Welt verdammt und den gläubigen Noah mit den Seinen nach deiner großen Barmherzigkeit erhalten. Du hast den verstockten Pharao mit all seinem Heere im Roten Meer ersäuft und dein Volk Israel trocken hindurchgeführt und damit das Bad deiner heiligen Taufe zukünftig bezeichnet. Du hast auch durch die Taufe deines lieben Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, den Jordan und alle Wasser zur seligen Sintflut und reichlichen Abwaschung der Sünden geheiligt und eingesetzt: Wir bitten dich um deiner grundlosen Barmherzigkeit willen: Sieh dies Kind – da kannste ruhig deinen Namen einsetzen! – gnädig an und beschenke es mit rechtem Glauben, dass durch diese heilsame Sintflut an ihm untergehe alles, was ihm von Adam angeboren ist; lass es – aus der Ungläubigen Zahl gesondert, in der heiligen Arche der Christenheit sicher behalten – allzeit mit Inbrunst im Geist, fröhlich in Hoffnung deinem Namen dienen, auf dass es mit allen Gläubigen nach deiner Verheißung das ewige Leben erlange. Durch Jesus Christus, unsern Herrn.“

Schon schräg. Aber auch schön. Willkommen an Bord. Amen.