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Predigt

26.01.20 – Armin Kistenbrügge – Jahreslosung

Predigt zur Jahreslosung 2020: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“.

Am Sonntag, 19. / 26.1.2018 in Greifenstein bzw. Edingen

Liebe Edinger (Greifensteiner) Geschwister!

Kann man sich jetzt eigentlich noch ein gutes neues Jahr wünschen? Nach alldem, was jetzt schon wieder passiert ist? Guckt ihr manchmal auch ungläubig in die Zeitung und schüttelt den Kopf oder seht die Nachrichten und könnt es kaum glauben? Ich finde, da gibt’s genug Anlässe, auch im kommenden Jahr: Willkommen in den neuen Roaring Twenties! Hoffentlich hört dieses Jahrzehnt nicht so schlimm auf wie das im letzten im letzten Jahrhundert. Wenn man sich die Hass-Postings für Bürgermeister und Landräte anguckt, das lässt einen daran schon ein bisschen zweifeln. Da braucht ihr bald einen Bodyguard! (an Marion Sander und Wolfgang Schuster) Und außenpolitisch wird auf dem Planeten gerade gezündelt und eskaliert, als wäre der Krieg wieder die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln. Da kann sich schon ein leiser Zweifel am menschlichen Verstand und seiner Einsichtsfähigkeit einschleichen.

Da kommt einem die Jahreslosung aus der Bibel für das Jahr 2020 gerade recht: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“, hat da im Markusevangelium mal einer gerufen. Und hat uns Zeitgenossen aus der Seele gesprochen! Zumindest denjenigen, die nicht ganz so unbekümmert glauben können und denen ihr Zweifel die rosa Wirklichkeit immer wieder eintrübt.

Vielleicht sind ja heute ein paar von denen da. Für die ist die Jahreslosung dieses Jahr ganz besonders. Die zwischen Zweifel und dem Versuch schwanken, ein bisschen mehr Gottvertrauen zu haben. Und wenn man schon zweifelt, dann sollte man auch der eigenen Ungläubigkeit nicht über den Weg trauen. Denn der Zweifel ist ja nur die eine Seite dieses inneren Zwiespalts, den ihr vielleicht auch habt: Ich kenne genug Leute, die haben eben doch so eine leiste Sehnsucht danach, vielleicht doch ein bisschen mehr glauben zu können. Aber können haben sie sich nicht getraut.

Die stehen vor dem Glauben wie vor einer Wand. Und kommen nicht rüber auf die andere Seite. Und sagen: „Künndisch nit.“ Kennt ihr den rheinischen Konjunktiv? „Fische, de jaanze Daach im Wasser. Künndisch nit.“

Das ist ein bisschen so wie die Hochachtung, die die Polizeistreife der Nonne zollt, die mit ihrem Auto liegen geblieben ist. Kein Benzin mehr. Und noch nicht mal einen Benzinkanister hat sie hinten drin, sondern nur so einen Nachttopf von der letzten Pflege, wo sie herkommt. Also nimmt sie den, geht zur nächsten Tanke, zapft sich Benzin, geht zurück und kippt schließlich den Nachttopf in den Tankstutzen aus. In dem Moment fährt ein Streifenwagen vorbei, der Kommissar fährt das Fenster runter und ruft anerkennend, als er die Frau mit dem Pisspott sieht: „Also Schwester, ihren Glauben möchte ich haben!“

Aber jetzt im Ernst: Wie geht das wirklich, so einen Glauben zu finden und dem Zweifel nicht immer das letzte Wort zu lassen? Ihr habt bei mir bestimmt schon mal diesen Anstecker gesehen, auf den mich manchmal die Leute ansprechen. (zeigen) Das ist ein Vexierbild, also so ein Schriftzug, der sich ändert, je nach dem aus welchem Blickwinkel man ihn ansieht. Da steht „Zweifeln“ drauf, aber wenn man das zweite Mal draufguckt: „Staunen“. Dann stutzen die, und einen Moment später haben sie die Message kapiert. Und manchmal kommen wir sogar ins Gespräch darüber: Wie geht das denn: Wie kriegt man diesen Perspektivwechsel hin? Wie also kommt man aus diesem Zweifel raus, der einen lähmen kann?

Ich habe für euch zwei Hinweise dazu. Wie das doch gelingen kann, so viel zu glauben, wie man sich heimlich wünscht und nicht schafft. Die beiden Hinweise kommen aus der Geschichte hinter dieser Bibelstelle mit der Jahreslosung. „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Das ruft nämlich ein ziemlich verzweifelter Vater. Der alles versucht hat, um seinem kranken kleinen Sohn zu helfen. Von Pontius zu Pilatus ist er mit ihm getigert, keiner konnte was tun, der letzte Versuch ist gescheitert, und jetzt ist er mit seinem Latein am Ende. Die Ärzte sagen: „Das bringt nichts mehr, da ist nichts zu machen“ und die Krankenkasse schreibt: „Die Therapie können wir leider nicht übernehmen.“ Kennt ihr das?

Dieser verzweifelte Vater geht jetzt also zu Jesus. Und fragt ihn: „Kannst du vielleicht was machen?“ Und Jesus reagiert auf den ersten Blick total schroff: „Was soll das denn heißen: ‚wenn du kannst‘? Alles ist möglich, wenn man glaubt!“, blafft er ihn an. –Eine Antwort wie ein Schlag in die Magengrube. Da ist sie wieder: Diese Wand. Die einen trennt. Von denen, die das angeblich einfach so können. Glauben. Die anscheinend diese Fähigkeit haben, über die eigene Vorstellung und seine eigenen Möglichkeiten hinaus zu hoffen. Die hinter den Horizont gucken können. Und man steht vor der Wand und kann nur sagen: „Deinen Glauben möchte ich haben.“

Aber jetzt kommts: Der Vater lässt sogar seine Verzweiflung fahren und ruft: „Ich glaube! Hilf meinem Unglauben!“ Ich versuch‘s doch! Was willste denn noch? Soll ich mich hier auf den Kopp stellen und La Paloma pfeifen?! Und diese Reaktion scheint das Eis gebrochen zu haben. Jesus hilft.

Was ist passiert? Was da genau vor sich gegangen sit, das steckt in diesem paradoxen Ausruf: „Ich glaube! Hilf meinem Unglauben!“

Der erste Hinweis ist jetzt: Das mit dem Glauben ist keine Heldentat, als müsste man nur stark genug vertrauen. Den Quatsch erzählt dir jeder hergelaufene Lifestyle-Coach. Als wäre Glauben eine Willensanstrengung. Und je mehr du glaubst, desto stärker wirst du. Als könntest du deine Seele trainieren wie andere in die Muckibude gehen und Bodybuilding machen. Und dann ist Glauben der heißeste Trend im Selbstoptimierungswahn. „Glaub doch einfach! Ganz doll!“ Das ist so wie sich abzumühen spontan zu sein. Oder du hast die totale Angst. Und dann kommt einer und gibt dir den Ratschlag: „Jetzt entspann dich mal.“ Mann! Ratschläge können echt die fiesesten Schläge in die Magengrube sein. Und wenn du es dann doch versuchst, das führt zu Verrenkungen, zum Heucheln, zum totalen Seelenkrampf: Da ist dann alles gespielt und das Wollen und das nicht können prallen hart aufein­ander: „Ich versuch ja zu glauben, aber es klappt nicht!“

Der Vater aus der Geschichte macht aber was ganz anderes, als sich anzustrengen: Der hört auf, an sich und seine Möglichkeiten zu denken. Wenn man immer nur auf das starrt, was jetzt möglich ist, dann kreist man um sich selbst. Sogar dann noch, wenn man nicht mehr ein noch aus weiß. Aber „es hilft, in Krisen nicht auf bekannte Tatsachen, sondern auf noch unentdeckte Möglichkeiten zu schauen“, hat Samuel Koch mal gesagt. Kennt ihr den? Der sitzt seit seinem Unfall bei „Wetten dass“ im Rollstuhl und ist ab dem Halswirbel abwärts gelähmt. Von dem kann man in der Hinsicht viel lernen. Christoph Buskies betreut ihn als Konzertmanager und hat mir viel von ihm erzählt. Und dieses Jahr bekommt ihr jede Woche im Greifensteiner Blättchen bei den Terminen aus unserer Gemeinde einen guten Satz von ihm.

Wenn du mit deinem Latein am Ende bist, dann hilft es wirklich, von sich wegzusehen, wo man den Wald vor Bäumen nicht mehr sieht, und eine andere Perspektive einzunehmen. So wie bei dem Anstecker „Glauben-Zweifeln“, um den anderen Schriftzug lesen zu können. Im Glauben heißt das: Guck nicht auf dich und deine Möglichkeiten. Noch nicht mal auf deinen Glauben, ob der jetzt stark genug ist oder nicht. Sondern richte deinen Blick auf Gott. Du brauchst gar keinen starken Glauben. Du hast einen starken Gott!

Du kannst dich an ihn hängen. Wie an einen Haken. Der reißt nicht ab. Deshalb hab ich gleich am Ende vom Gottesdienst für euch als kleine Erinnerung einen Klebe-Haken mit der Jahreslosung drauf. Sehr belastbar.

Stell dir vor, du müsstest Gott in die Arme springen: Glauben ist ja sowas wie ein Sprung in die Arme Gottes. Wo man sich selber loslässt und nicht mehr krampfhaft versucht, die Kontrolle über das eigene Leben zu behalten. Wenn Gott dir sagt: „Gib mir die Hand, ich halte dich“, dann sag nicht: „Kann ich nicht, ich hab alle Hände voll zu tun!“ Und wenn du in seine Arme springst, dann nützt es dir wenig, dass du besonders langsam stürzt oder dich besonders gut fallen lässt. Das entscheidende ist, dass Gott dich auffängt.

Das andere, was ich für uns von diesem Vater lerne, ist: Der denkt in seiner Lage nicht mehr an sich, dem ist am Ende sogar der eigene Zweifel und die eigene Verzweiflung scheißegal. Ein bisschen so wie in dem Witz, wo ein Afrikaforscher erzählt, wie er in der Wüste von einem Löwen gejagt wurde. Bis er sich endlich auf einen Baum retten konnte. Die anderen sagen: So ein Schwachsinn! Wo willst du denn mitten in der Wüste einen Baum hernehmen? Aber der Erzähler sagt nur: „Leute, das war mir in diesem Moment so was von egal.“

Der zweite Hinweis, wie man aus dem Zweifel, der einen lähmt, rausfindet, ist also: Lass auch deinen inneren Widersprüchen nicht das letzte Wort. Der verzweifelte Vater behält sie nicht für sich, sondern schmeißt sie Jesus vor die Füße. Da wird aus seinem Unglauben, aus seinem Nicht-Können sogar so was wie ein Gebet, ein ungläubiges Gebet, das gegen die eigenen Zweifel Gott mehr zutraut als der eigenen Ratlosigkeit.

Vielleicht können wir aus unseren inneren Widersprüchen auch so ein Gebet machen, wenn wir mit unserem Latein mal am Ende sind: Wenn man zwischen Mut und Verzagtheit hin- und her eiert. Zwischen Vertrauen und Resignation. Sag jetzt nicht: „Ich kann nicht beten! Das schaff ich nicht! Ich krieg die Zähne nicht auseinander, ich hab ne religiöse Maulsperre.“ Beten ist auch wieder kein frommes Bodybuilding, wo’s drauf ankommt, dass du besonders fromme Text­bausteine zusammensetzen kannst, damit das schön gläubig klingt. Man kann auch nicht erst dann beten, wenn sich innerlich alles geklärt hat und man weiß, was man Gott sagen will und man sich alles schön sauber zurechtgelegt hat und die Formulierung gerade gezupft ist. Sondern gerade dann, wenn man nicht weiß, was los ist, wie es in einem aussieht, was man sagen will, was man sagen soll, wo es lang geht: Gerade dann schmeiß Gott deine Ratlosigkeit vor die Füße! Oder ringe mit ihm wie der Jakob an der Furt des Jabbok. Der Gott nicht in Ruhe lässt, bis er ihn segnet. Auch wenn er hinterher ein bisschen hinkt und nicht einfach der Alte ist.

Mach also aus deinen inneren Widersprüchen und deiner Zerrissenheit ein Gebet: „Ich will glauben, hilf du meinem Unglauben! Ich will lieben, hilf meiner Bitterkeit und meinem Zynismus! Ich will an die Menschen glauben, hilf meinem Unglauben, dass Menschen sich nicht ändern können! Ich hoffe, hilf meiner Trägheit, dass unsere Welt nicht mehr zu retten ist.“ Oh, ich wüsste noch mehr Zweifel, die ich mal mit Gott teilen sollte. Vielleicht kann der ja was machen. Ich glaube, damit komme ich sogar dann durchs Jahr, wenn ich schon am Jahresanfang am Ende bin mit meinen Antworten. Gott befohlen. Amen.

(Kanzelsegen)