An Erntedank beim Drive-in-Gottesdienst in Greifenstein
Liebe Edinger (Greifensteiner) Geschwister!
„Danke für Nichts!“, denkt man manchmal, wenn man einen ziemlich gebrauchten Tag hinter sich hat.
Wenn ihr an dieses Corona-Jahr denkt, kommt euch vielleicht auch der Gedanke: „Danke für nichts!“ Mann, was ist das alles für ein Krampf. Die Masken, die Regeln, ich kann das Wort „Hygiene“ nicht mehr hören. Was alles nicht geht, wo man überall nicht hin kann, diese vielen nervigen Einschränkungen der Freiheit. Das fühlt sich bald alles so an wie in der untergegangenen goldenen Täterä (DDR). Da konntste ooch bloß in‘n Harz.
Ausgerechnet in diesem Jahr feiern wir 30 Jahre deutsche Einheit. Überall wird gefragt: „Ist das Land zusammengewachsen, und, wie isses mit den blühenden Landschaften?“, und manche Leute in Ost und West denken bloß: „Danke für nix.“ Sind die undankbar? Wie findet man aus dieser Unzufriedenheit raus? Darüber möchte ich mit euch ein bisschen nachdenken, am Erntedank im Corona-Jahr.
Um 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ein Stück Dankbarkeit einzuüben, hatte der Pastor Bernd Öttinghaus aus Frankfurt die Idee zur Aktion „Deutschland singt“. Er hatte dazu eingeladen, überall am 3. Oktober zu singen, zusammen, nicht nur in der Kirche, auf Oktoberfesten, auf Marktplätzen, überall. Und jetzt kann man nicht mal das: ordentlich singen! Ich glaube, das hätte ein bisschen dazu beigetragen, aus dieser „Danke für Nichts“-Haltung rauszufinden. Ich will nämlich nicht, dass die mir alles vermiest und ich immer undankbarer werde.
Appelle: „jetzt bedank dich doch mal“, bringen‘s auch nicht. Und der Vorwurf: „Ihr wisst gar nicht, wie gut ihrs habt“, der hilft da auch nicht weiter. „Ihr wisst gar nicht, wie gut ihrs habt“, das meint der Opa immer, wenn er wieder anfängt, von früher zu erzählen. Und dann fallen diese Großelternsätze: „Wir hatten ja nix. Es gab ja nix.“ Habt ihr die auch schon mal gehört? Stimmt ja auch.
Das Problem dabei ist aber, glaube ich, dass einen das auch nicht dankbarer macht, wenn man merkt, wie viel man eigentlich hat. Weil die Fülle und der Überfluss einen nicht dankbarer machen. Und der Mangel undankbar.
Denn so klebst du an den Sachen. Und wenn die weg sind, verfliegt der Dank. Wie ein Gefühl. Eben warste noch glücklich und dankbar, aber im nächsten Moment bist du schon wieder unzufrieden. Kennt ihr das? Das nutzt sich so schnell ab.
Das ist wie bei Kindern im Sandkasten. Eben spielt klein Timo noch friedlich mit seiner Schippe, aber dann kommt der Marvin und hat einen großen Bagger dabei. Das ist wie mit dem Äffchen im Zoo, das sich über die Gurke freut, die ihm der Wärter gibt. Aber dann kriegt der Kollege nebenan ein Stück Banane. Banane ist im Äffchen-Kosmos viel besser. Und aus ist es mit der Dankbarkeit. Auf einmal ist das bloß noch eine olle Gurke.
Stell dir vor, du kriegst einfach so eine Gehaltserhöhung von 500 Euro. Mann, was kannste dir dann plötzlich alles gönnen, was du dir vorher verkneifen musstest! Aber was ist, wenn du dann hintenrum mitkriegst, dass der Schulze aus der Personalabteilung aber 1000 Euro Bonus gekriegt hat? Adios Dankbarkeit!
Diese Unzufriedenheit, die einem das Leben vermiesen kann, die schielt immer auf das, was man gerade nicht hat. Und dann denkste: Wenn ich jetzt das oder das hätte, dann wäre ich glücklich. Aber das ist Blödsinn. Dankbarkeit macht glücklich. Nicht umgekehrt.
„Man kann auf jedem Niveau klagen. Aber man kann auch auf jedem Niveau glücklich sein“, sagt Samuel Koch. Der hat das gelernt, weil der sich durch seine Querschnittslähmung nicht seine Dankbarkeit und seine Fähigkeit zum Glücklichsein klauen lassen wollte. Weil er alles nicht mehr konnte, was ihm früher so wichtig war.
Dankbarkeit entsteht nämlich nicht aus der Fülle, nach der Devise: „Je mehr, desto dankbarer.“ Sie entsteht nicht an den Dingen, die du hast. Dann wäre ein Millionär überhaupt nicht mehr zu bremsen vor Dankbarkeit. Aber so viele von der Sorte kenne ich nicht. So rum wird offensichtlich kein Schuh draus.
Dankbarkeit entsteht nicht an den Dingen, die du kriegst, sondern wenn du hinter der Gabe den Geber erkennst. Der dich beschenkt. Dann bist du dadurch nämlich mit ihm verbunden. Dankbarkeit ist nicht bloß ein Gefühl, das verfliegt. Dankbarkeit ist eine Beziehung, die bleiben will. Und dich prägen will. Denn dabei bist du nicht nur der Empfänger. Du gibst auch was. Das ist der Dank. Ihr teilt was. Ich meine damit nicht nur das „Dankeschön, auf Wiedersehen“, das ist so wie Klatschen für die Hilfskräfte. Mit dem „Danke“ gibst du wirklich was. Nämlich dich selber. Du lässt es zu, dass ihr miteinander verbunden seid. Und jetzt kommt das Überraschende: Diese Verbundenheit kann sogar wachsen, wenn du nicht nur den Überfluss teilst, sondern auch den Mangel.
Denkt an die Geschichte von eben, wo es am Ende doch noch für alle gereicht hat. Alle hören Jesus zu, und dann ist Essenzeit. Und es gibt so gut wie nichts. Was tut Jesus? Er lässt sich davon nicht irritieren. „Was ist denn da?“, fragt er rum. Statt gleich den Mangel zu bemängeln. Und dann nimmt Jesus die paar Brötchen, die noch da sind, und was macht er? Er sagt nicht: „Ist das alles?“ Sondern „Danke“. Er nimmt das bisschen, das wir haben und dankt. Und zwar, nächste Überraschung: Er dankt Gott. Damit ist das bisschen, das ich mitbringe, nicht mehr bloß mein Beitrag, der viel zu klein ist, um die Not zu lindern, sondern ein Teil von Gottes Sättigungsaktion. Ein Teil von Gottes Rettungsaktion. Ein Teil von Gottes Handeln. Die Blickweise auf den Mangel ändert sich. Die Perspektive ist eine andere: Wenn du den Mangel Gott in die Hände drückst, wird aus deiner Bredouille Gottes Chance. Jesus nimmt also den Mangel und beginnt trotzdem zu teilen. Das ist womöglich genau die Chance, wie aus der Krise Dankbarkeit erwachsen kann. Wie es auch im Corona-Jahr gelingt, wirklich Erntedank zu feiern. Wenn wir nicht nur für den Überfluss dankbar sind, sondern den Mangel mit Gott teilen, statt zu sagen: „Danke für Nichts.“
Es könnte sogar sein, dass die Dankbarkeit gerade davon lebt. Und dass Gott gerade dann zeigt, dass er einen nicht hängen lässt. Es gibt davon einige Geschichten in der Bibel, wo Gott gerade aus dem Mangel etwas wachsen lässt.
Vielleicht brauchen wir mehr solche Geschichten. Auch solche wie die vom Opa aus der Zeit, als es gar nichts gab. Oder Geschichten, wo geteiltes Leid halbes Leid ist. Und geteilte Freude doppelt wiegt. Wo es hinten und vorne nicht reicht, aber wie durch ein Wunder das Ziel trotzdem erreicht wird. Dann wächst auch bei uns langsam, aber stetig die Dankbarkeit. Und frisst den Frust auf. Amen.