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Predigt

06.11.22 – Armin Kistenbrügge – Beim Nachdenken über das Ende …

… die Gegenwart vergessen.

Hier ist die Predigt aus der Kirche in Edingen mit Pfr. Dr. Armin Kistenbrügge über Lukas 17, 20ff

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Predigttext

Predigt über Lukas 17, 20-30 am drittletzten Sonntag des Kirchenjahres, 6.11.2022 in Edingen und Greifenstein

Liebe Edinger (Greifensteiner) Geschwister!

Die Zeiten sind unsicher. Und nicht mal das stimmt hundertprozentig. Aber die Endzeitstimmung im Land nimmt wieder zu, habe ich den Eindruck. Und im Kirchenjahr kommen jetzt die Bibeltexte, bei denen es ums Ende geht. Das persönliche und globale. Und mir ist auch schon wieder ganz flau. Ich habe dieses dumpfe Gefühl, dass bei uns gleich alles zusammenkrachen könnte. Völlig unvorbereitet. Keine Sintflut. Der steigende Meeresspiegel in unseren Zeiten kommt langsam, so wie die Temperaturen beim Klimawandel langsam steigen. Aber unaufhaltsam. Aber das ist ja auch nur eine von den vielen Baustellen. Dann kommt vielleicht ein umfassender Stromausfall. Ein Zusammenbruch der kritischen Infrastruktur. Und uns fällt unsere zivilisierte Unbekümmertheit auf die Füße, mit der wir immer noch mit dem Flieger in den Urlaub fliegen, mit dem Auto zum Bäcker fahren (ich zumindest) und den Heizpilz beim Weihnachtsmarkt aufstellen. Oder es schmeißt einer Bomben auch bei uns auf Kraftwerke und mit einem Blitz am Himmel geht die Zivilisation, wie wir sie kannten, unter. Während man sich in Europa zwischen Noch-Demokratien und schon fast – Diktaturen völlig zerstritten hat, die Vereinigen Staaten ihrem Namen spotten und ihre Vereinigung auflösen und sich in autoritäre Apartheits­staaten und wirtschaftsliberale demokratische Bundes­staaten auseinanderdividieren und sich nur noch mit sich selbst und der Zerstörung des Klimas widmen, während andere Unterdrücker-Staaten sich die Hände reiben und der Welt ihren Stempel der Unterwerfung aufdrücken.

Tut mir leid, dass ich euch mit meinen Gedanken zur Last falle. Das geht mir durch den Kopf, wenn ich von den Menschen lese, die einfach immer so weitergemacht haben. Von denen Jesus erzählt (Lk 17,27f): „Sie aßen, sie tranken“ und feierten. Und kriegten nichts mit.

Aber was will man gegen diese globale Unsicherheit tun? Vorräte wie ein Prepper im Keller bunkern gegen den Stromausfall, wieder Klopapier horten und die Atombunker aus den 80er entrümpeln? Und der Welt als selbsternannter Untergangsprophet auf Telegram die letzten Stündlein voraussagen? Was hätte es den Leuten vor der Sintflut genützt, wenn sie sich Schwimmwesten bereitgelegt hätten?

Ich will mich nicht an den Bluthochdruck-Diskussionen von der Kanzel herunter beteiligen, die alles ganz genau wissen und sagen, was jetzt zu tun ist, am besten bis vorgestern, was schon längst hätte geschehen müssen, welche Hausaufgaben wir nicht gemacht haben und wer sie verbummelt hat. Das kommt mir vor wie die Leute, die aufgeregt „Siehe hier“ oder „Von dort kommt das Unheil“ brüllen, und dann kommt eine ellenlange Liste, was wir alles gleichzeitig in Ordnung bringen sollen.

Aber vielleicht bekommen wir von Jesus einen Hinweis, wie wir mit all diesen Unsicherheit umgehen können. Das täte mir jetzt mal gut. Und gäbe meiner Hoffnung ein bisschen Auftrieb. Hören wir doch nochmal auf das Stück aus dem Lukasevangelium, das ihr gerade gehört habt: Lukas 17, Vers 20 bis 25.

„Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Zeichen erkennen könnte. Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es! oder: Dort ist es! Denn: Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch.“

Irgendwie kann man mit Jesus die Gegenwart nicht gegen die Zukunft ausspielen. Das Diesseits und das Jenseits. Die Frage hat damals alle umgetrieben. Was kommt auf uns zu? Und nach der Antwort von Jesusbelächeln die Jünger die Pharisäer milde und blinzeln sich zu: „Mensch, wie blind kann einer denn noch sein? Fragen Jesus nach seinem Ausweis als Messias, amtlich beglaubigt. Und wollen wissen, wenn das große Ende kommt. Damit sie sich schön drauf vorbereiten können. Wollen präpariert sein, in den Startlöchern stehen und nicht auf dem falschen Fuß erwischt werden. Dabei ist Jesus doch schon da! Hier steht er, mitten unter uns! Das ist doch zu spüren, wenn einer kein Herz aus Stein hat und einen Funken Glauben: Wenn Jesus redet, dann ist es, als würde das schon anfangen, wovon er spricht: dass Gottes Herrschaft anfängt und die alten Zwänge auflöst. Jesus erzählt doch nicht nur schöne Geschichten von Gottes Liebe. Sie wird Wirklichkeit mit ihm: Taube hören, Blinde sehen, Lahme gehen, Tote stehen auf und den Armen wird die frohe Botschaft verkündet! Bald sind wir in Jerusalem und da geht’s dann erst mal richtig los: Die Begeisterung schlägt Funken, die Leute kehren alle um, die Welt ändert sich und alles wird gut. Und dann ist das Reich Gottes für alle unübersehbar.“ So denken sie. Das steht in ihren Gesichtern geschrieben. Aber da dreht Jesus sich zu seinen Jüngern um. (Und jetzt geht der Predigttext noch ein Stückchen weiter:)

„Er sagte zu den Jüngern: Es wird eine Zeit kommen, in der ihr euch danach sehnt, auch nur einen von den Tagen des Menschensohnes zu erleben; aber ihr werdet ihn nicht erleben. Und wenn man zu euch sagt: Dort ist er! Hier ist er!, so geht nicht hin, und lauft nicht hinterher! Denn wie der Blitz von einem Ende des Himmels bis zum andern leuchtet, so wird der Menschensohn an seinem Tag erscheinen.“

Da stehen sie nun beide, die rechtschaffenen, ehrlichen Pharisäer, die alles richtig machen wollen. Und die begeisterten Jünger. Und haben beide erst mal was auf den Deckel gekriegt von Jesus.

Die einen sehen auf das Ende. Auf das Ende der Welt und auf ihr Ende. Sie wollen sich drauf vorbereiten. Und so leben sie. Ihr Leben ist eine einzige Vorbereitung auf das, was danach kommt. Sie wollen von Gott nicht überrumpelt werden. Und verpassen dabei, dass Gott sie nicht erst mit seiner Zukunft, sondern schon mit seiner Gegenwart überrascht.

Die anderen sehen, was gegenwärtig ist: Sie erfahren, wie Gott wirkt, heilt, befreit und froh macht. Und wollen nicht wahrhaben, dass das alles nur Verheißung ist, und noch nicht Erfüllung. Dass Jesus nicht einfach kommt und alles gut macht. Sondern dafür sterben muss. Sie realisieren erst mal nicht, dass auch Geheilte und Befreite in einer Welt weiterleben, die nicht heil und noch nicht befreit ist. Und deshalb immer unsicherer wird, wo man sich kaum noch irgendwo verkriechen kann.

Aber beide haben Recht. Und haben beide auch einen blinden Fleck, der dafür sorgt, dass sie die Wirklichkeit Gottes aus dem Auge verlieren können. Genau davor warnt Jesus. Und diese doppelte Warnung, die gilt genauso gut für uns: “Passt gut auf, Leute! Wenn welche laut „Hier“ oder „Dort“ rufen und behaupten, sie könnten euch zeigen, wo Gott zu finden ist oder dass das Ende nah ist, dann lauft nicht sofort hinterher wie aufgescheuchte Hühner. Verwechselt Nachfolge nicht mit Mitläufertum auf der einen oder der anderen Seite. Seid wachsam. Und nüchtern.“

Das ist vielleicht auch gar nicht so verkehrt, die Warnung vor falschen Propheten. Von denen wimmelt es auf Facebook, bei Twitter und Telegram.

Die einen rufen: „Dieser Fatalismus, dass du am selbstverschuldeten Untergang sowieso nichts ändern kannst, weil die vier größten Umweltprobleme die menschliche Dummheit, die Faulheit, der Egoismus und die Kurzsichtigkeit sind, kann doch nicht das letzte Wort sein! Und dann fliehen wir und trösten uns mit der Ewigkeit! Es soll doch noch ein Leben vor dem Tod geben! Und dann ist überall dort Gott gegenwärtig, wo die Umwelt bewahrt wird und Gerechtigkeit auf der ganzen Erde eine Chance bekommt und der Frieden sich nicht vom Krieg den Mund verbieten lassen muss. Überall, wo das geschieht, und nur da ist Gott gegenwärtig. Mitten unter uns.“

Aber da brüllen die anderen dazwischen: „Die Welt geht den Bach runter! Alles deutet darauf hin. Bei uns gehen die Werte verloren, zwischen Staaten gibt es keine Zivilisation, sondern nur noch das Recht des Stärkeren, unsere aufgeklärte Zivilisation ist mittlerweile so abgeklärt, dass sie in Barbarei umschlägt. Ein Konflikt der Religionen steht vor der Tür. Das Harmaggedon, die finale Schlacht der himmlischen und der höllischen Mächte lässt nicht mehr lange auf sich warten. Wartets nur ab.“

Die einen wollen uns einreden, dass schon die Rede davon, dass Jesus wiederkommt, einen zum fanatischen Spinner abstempelt und die Gegenwart verrät. Und die anderen lassen stillschweigend die Welt zum Teufel gehen, weil sie die Ewigkeit retten wollen.

Wer aber jetzt nur diese Warnungen mitnimmt und womöglich überall nur noch falsche Propheten reden hört, also entweder verzweifelter Sozialromantiker oder zynischer Apokalyptiker, der bekommt beides noch nicht zusammen, was bei Jesus eigentlich zusammengehört.

Denn beides ist für uns Christen wichtig: Ich gebe zu: Das kann ein ganz schöner Spagat sein: Dem Leben dienen und dabei nicht zu vergessen, über dieses Leben hinaus zu weisen und zu hoffen. Diesen Spagat gibts aber im Glauben überall: Seit 2000 Jahren warten die Christen darauf, dass Jesus wiederkommt, darauf warten schon die ersten Christen und dachten, dass würde noch zu ihren Lebzeiten passieren. Nach so langer Zeit wäre ein leiser Zweifel eigentlich nicht von der Hand zu weisen, wenn Jesus nicht schon immer gegenwärtig wäre. Das gehört nämlich zusammen, das: „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind“ … (Melodie singen) und das „Jesus, wir warten auf dich“ (Mel. Peter Strauch)

Wenn du auf der einen oder auf der anderen Seite vom Pferd fällst, hast du nachher weder die Gewissheit der Gegenwart Gottes noch die Hoffnung über das Leben hinaus. Sondern nur noch abgeklärte Skepsis. Und bist noch ärmer dran als ein Pharisäer oder ein Jünger, der sich in seiner Begeisterung überschlägt.

Es kommt darauf an, wie wir beides zusammenbringen: In unserem Glauben und im Leben. Ich glaube, das gelingt, wenn man die Sehnsucht vom einen und vom anderen bei sich selbst spürt. Die ist nämlich echt. Und sie hat ihr Recht. Die eine Sehnsucht ist die nach der Erfahrung Gottes mitten im Leben. Die nach echter Veränderung. Die andere ist die Sehnsucht nach dem, was über dieses Leben hinausweist.

Es gibt solche Erfahrungen. Und dass Gott die Kräfte in der Welt stärkt, die dem Leben dienen und der Gerechtigkeit. Dass die Welt nicht einfach untergeht, sondern geheilt wird, durch die Sünde und den Krieg und die Zerstörung hindurch. Dass Menschen sich ändern können, wenn der Heilige Geist in ihnen wirkt: Dass in einer selbstbezogenen und narzisstischen Gesellschaft gegen allen Augenschein so was wie Demut wächst.

Aber diese Erfahrungen, dass Gott eben doch da ist, die haben eine besondere Eigenschaft: Sie wecken eine neue Sehnsucht. Nach Gott. Nach Ewigkeit. Nach Erfüllung.

Eine Welt, in der Gott sich finden lässt, weil er sie mit sich versöhnt hat, in der Gott am Werk ist und sie nicht sich selbst überlässt, die seufzt trotzdem nach Erlösung. Weil in ihr Ungerechtigkeit, Krieg, Krankheit und Leid nicht abzuschaffen sind wie alte Traditionen, die auf den Müll der Geschichte gehören.

Es sind gerade die Erfahrungen von Gottes Nähe, die einen bitten lassen: „Komm bald wieder, Jesus.“

Dass wir uns ausstrecken und darauf warten, dass Jesus wiederkommt, gehört zu unserem Glauben genauso wie die Erfahrung seiner Gegenwart.

Ihr merkt: Die Sehnsucht nach der Wiederkunft von Jesus hat nichts mit Spökenkiekerei oder dem Ausschauen nach Untergangszeichen zu tun. Denn nicht die Unheilsbotschaften treiben uns in die Arme Gottes, sondern die Erfahrung, dass Gott uns schon jetzt einen Vorgeschmack darauf gibt, was noch auf uns wartet. Wer die Welt um sich herum als dem Untergang geweiht sieht, hält sich von ihr fern und verpasst damit womöglich Gott selber, der uns gerade hier begegnen will. Der fängt nachher doch noch an, sich auf den D-Day vorzubereiten wie auf eine Prüfung. Damit er im richtigen Moment im rechten Licht dasteht. Wenn es blitzt. Als würde er dann geblitzt von einer Radarkontrolle, der nichts entgeht. So kann aber keiner leben.

Aber vielleicht so wie das die Geschichte von dem Mönch erzählt, der noch nicht bereit ist für die Ewigkeit. Weil er noch viel zu tun hat. Gott hier zu dienen. Armut bekämpfen. Suppenküche aufmachen. Für den Frieden demonstrieren, bei Fridays for future mitlatschen und auf dem Klosterhof den Garten umgraben, was weiß ich. Eines Tages hört er dann wieder Gottes Stimme: „Schön, dass du da bist.“ Und der Mönch antwortet: „So, jetzt wäre ich bereit, zu dir in die Ewigkeit umzuziehen.“ Und Gott antwortet nur: „Du bist doch schon längst angekommen.“

Du brauchst für deinen Glauben kein „hierhin“ und „dorthin“, um das Reich Gottes nicht zu verpassen. Du brauchst nur die Bitte: „Dein Reich komme.“ Die selbstvergessene Konzentration auf das, was Gott segnet. Auch in dieser Welt, die ziemlich im Argen liegt. Amen.

(Kanzelsegen)