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Predigt

31.12.22 – Armin Kistenbrügge – Silvester

Die Audio-Aufnahme der Silvesterpredigt von Pfr. Dr. Armin Kistenbrügge und das Skript der Predigt:

Eingangsliturgie
Predigt
Schlussliturgie

„Gewissheit, unzerstörbar“

Predigt über Römer 8,31-39, im Gottesdienst an Silvester, 31.12.2022 in Greifenstein und Edingen:

Liebe Greifensteiner (Edinger) Geschwister: Wenn du einen Strich unter das vergangene Jahr machst und zusammenrechnest, was für dich herausgekommen ist, was ergibt sich? Machen doch die Geschäftsleute. Eine Bilanz. Oder Inventur: Stress zwischen Weihnachten und Neujahr für alle Läden. Am Ende wird zusammengerechnet.

Was kommt für euch unterm Strich dabei raus? Fasst euer Jahr doch mal in einem Wort zusammen: Was ist euer „Wort des Jahres“? (eine Runde „Worte des Jahres“ in die Kirche rufen)

Thomas Gottschalk hat im RTL-Jahresrückblick mit dem Copy and Paste – Grafen Karl-Theo zu Guttenberg geschimpft, was für ein Jahr zum Vergessen das war: Kaum hatte Corona den Schrecken verloren, als alle dachten: „Jetzt muss es doch langsam mal besser werden, da kam es noch schlimmer: Da kam der Krieg nach Europa, ein richtiger, brutaler Landkrieg mit Kanonen und Raketen und Panzern und schlimm wütenden Soldaten. Und das Wort es Jahres war die schon sprichwörtlich gewordene „Zeitenwende“: Wenn anschließend nichts mehr so ist, wie es mal war. Wenn die alten Gewohnheiten sich erledigt, die alten Gewissheiten sich in Wohlgefallen aufgelöst haben, dass Diplomatie und Handel Annäherung bringen, die nicht zurückgedreht werden kann, dass die Friedensordnung in Europa so selbstverständlich ist wie der Strom aus der Steckdose, dass wir zivilisiert genug sind und zu vernetzt durch das Informationszeitalter und den globalisierten Handel und so verwöhnt, dass keiner sich das noch vorstellen kann mit dem Krieg.

Bei uns war das wirtschaftlich zu spüren. Und mitten im Klimawandel, der diesen Sommer mal kurz gezeigt hat, was auf uns zukommt, wenn in Indien 50 Grad sind und bei uns die ollen Fichten­plantagen, die sich Wälder nennen, verdorren; mitten in diesem Wandel macht man sich auf einmal Sorgen, wie man im nächsten Winter heizen soll. Oder den Sprit oder den Strom bezahlen soll und so weiter. Was für ein Widersinn. Und dann fliegt auch noch ein Haufen völlig verstrahlter Vollidioten auf, die in Deutschland putschen wollten und so eine Art Pickelhauben-Monarchie zurückhaben wollten. Ich kriege ein Schleudertrauma vom Kopfschütteln.

Die permanente Krise ist der neue Normalzustand. Das ist die Zeitenwende, die wir dieses Jahr erlebt haben.

Woher nimmt man in so einer Zeit eigentlich so was Überlebenswichtiges wie Zuversicht? Die nimmt gerade noch schneller ab als Hustensaft für Kinder und Ibuprofen, habe ich gelesen. Weniger als die Hälfte der Bevölkerung guckt noch zuversichtlich in die Zukunft. Kein Wunder. Woher auch nehmen, wenn nicht stehlen?

Lasst uns heute Abend danach suchen. Wenn alles ins Rutschen kommt, wo kannst du dich dann festhalten?

Ich möchte zum Jahresende ein geistliches Fazit mit euch ziehen. Was ergibt sich für dich?

Keine Bange: Ich präsentiere euch nicht die Rechnung und rechne euch klein vor, was wir alles geschafft und mehr noch, was wir alles versäumt haben könnten, wie viel Zeit verschwendet oder dumm in der Ecke gesessen, ohne was Produktives zu tun oder in der Nase gebohrt oder geschlafen oder Kreuzworträtsel oder Sudokus gelöst oder was euch sonst noch an mäßig schönen, völlig sinn- und zweckfreien Verwendungen einfällt für die von Gott im letzten Jahr geschenkten 525.600 Minuten des Jahres 2022.

Ich ziehe das Fazit mit Hilfe von dem Bibeltext aus dem Römerbrief, den ihr eben schon in der Lesung gehört habt: Römer 8,31-39. Paulus fragt: Was ergibt sich nun am Schluss aus allem, was ich euch in den letzten Kapiteln erklärt habe? Welches Fazit können wir daraus ziehen? Was er meint, sind die Zusammenhänge, die er der Gemeinde in Rom ausgebreitet hat: 4 Wie die Trennung der Verbindung zwischen Gott und der Welt sich auf jeden Einzelnen auswirkt und auf die ganze Welt, 4 was wir vom Leben zu erwarten haben, wenn Gott diese Trennung nicht überwunden hätte, indem Jesus die Welt mit Gott wieder versöhnt hat. 4 Es geht um nichts weniger als um die Rettung der Welt am Kreuz durch Liebe, Versöhnung, Opfer, Stellvertretung, Einer für Alle, 4 um die Überwindung des Fluchs der Sünde, der keiner entkommt; darum, wie die Geschichte von Kreuz und Auferstehung die Menschen aus diesem Zwangssystem, immer weiter alles zu zerstören, befreit 4 und wir neu auf unsere wahre Bestimmung im Leben ausrichtet werden und es einem echt gelingt, mit Gott mitzuwirken und Teil der Lösung zu sein statt Teil des Problems und gegen Gott zu arbeiten. Das alles steht in den Römerbriefkapiteln davor.

Und dann sagt Paulus zum Schluss, ihr habt es gehört: “Was ergibt sich nun, wenn wir das alles bedenken? Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist es, der gerecht macht. Wer kann sie verurteilen? Jesus Christus, der gestorben ist, mehr noch: der auferweckt worden ist, ist zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. Was kann uns trennen von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? (…) Ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn.

Marmor, Stein und Eisen bricht, und die Zivilisation, wie wir sie kannten und das permanente Wachstum und die selbstverständliche Erwartung, dass es den eigenen Kindern mal besser geht und die ganzen anderen Lebenslügen, das alles bricht: Aber Gottes Liebe nicht. Die Verbindung reißt nicht mehr.

Klar: Es spricht weiter viel gegen dich. Gegen uns. Das flüstert uns der innere Schweinehund ein: Die Trägheit und die Angst zu kurz zu kommen und die verpassten Chancen, dich zu entschuldigen oder zu vergeben, oder die ungezählten Momente, wo du auf Gott nicht gehört und ihn nicht bemerkt und nicht vertraut und nicht gehorcht hast. Im letzten Jahr. Aber das Entscheidende, das alles ändert, was gegen uns spricht, ist: Dass Gott für dich spricht. Für uns. “Wenn Gott für dich ist, wie kannst du dann gegen dich sein?“ (H.J.Eckstein) Stell dir vor, Gott spräche wirklich für dich, wortwörtlich, er hielte ein Plädoyer auf dich: „Also, auf den Horst (die Hannelore) lass ich nichts kommen. Für den leg ich meine Hand ins Feuer. Die Verbindung zwischen uns ist absolut unverbrüchlich und unzerstörbar.“ Und das, obwohl er sich schon unendliche viele Male die Finger verbrannt hat. Legt Gott seine Hand ins Feuer. Für dich. Setz deinen Namen ein in sein Plädoyer! Das ist gemeint!

Das möchte ich euch erklären, was dieses Fazit für unsere Zukunft bedeutet: Worauf ihr euch im kommenden Jahr tausendprozentig verlassen könnt. Gewissheit heißt das. Altes Wort. Wird es wahrscheinlich nicht zum Wort des Jahres 2023 schaffen. Es bedeutet: Es gibt was, das kannst du nicht verlieren. Was unzerstörbar ist. Denk nicht, ich wollte dir irgendeine Superhelden-Unverwundbarkeit einreden. Christen geht’s natürlich nicht besser mit ihrem Glauben, der sie gegen alle Schicksals-Schlaglöcher und Zivilisations-Abbrüche und Klimakatastrophen absichert.

Vielleicht fühlst du dich ja so, als hätte man dich im vergangenen Jahr täglich durch die Mangel gedreht. Ohne dass du irgendwas falsch gemacht hättest. Und vielleicht bleibt dir im kommenden Jahr nichts erspart. Wovor graut dir, wenn du an 2023 denkst? Das Stück Römerbrief nennt es alles beim Namen, wir können das durchbuchstabieren:

Bedrängnis oder Not: Hast du Angst um deinen Arbeitsplatz oder um den von deinen Kindern? Ich befürchte, 2023 wird ein hartes Jahr. Wir sind preissteigerungsmäßig noch nicht übern Berg.

Hunger oder Kälte: OK, kannten wir bis jetzt nicht wirklich. Bis in der Ukraine Heizung und Strom systematisch kaputtgebombt worden sind. Und sich bei uns oder in Great Britain ärmere Leute entscheiden müssen, ob sie einen vollen Kühlschrank oder einen vollen Heizöltank haben wollen. Neulich habe ich im Fernsehen die Doku über das Notjahr 1946 gesehen und den Erzählungen der alten Leute zugehört, die ich schon von meiner Mutter kannte, die damals fast verhungert wäre. Die haben davon erzählt, wie mürbe einen das machen kann. Bei uns fühlt es sich vielleicht so an, dass einem ständige Geldsorgen den Schlaf rauben und krank machen können.

Verfolgung: Es gibt auch in unserem Ort Leute, die haben ein Trauma, weil sie im Iran in eins der berüchtigten Gefängnisse gekommen wären, wenn sie’s nicht irgendwie raus geschafft hätten. Geht aber auch nur scheinbar unspektakulärer: Es gibt Menschen, die haben Horror, morgens zur Arbeit zu gehen, weil da Kollegen und ein Chef warten, die einen mobben und rumschubsen und schikanieren, dass man krank davon wird. Kennst du einen, dem allein beim Wort „Schule“ schon der Schweiß auf der Stirn steht?

Einen hat Paulus noch: Gefahr oder Schwert: Ich geb zu: Das ist bei uns noch nicht unbedingt die Todesursache Nummer eins, das wird es jetzt in der Ukraine. Aber für uns bedeutet das vielleicht der Autounfall auf der A 45 oder die Krankheitsdiagnose, die dir keine Hoffnung mehr macht.

Christen geht’s nicht besser. Als allen anderen normalen Menschen auch. Christen geht’s aber vor allem nicht besser als Christus, sagt Paulus. Darin liegt aber auch der Grund, warum Not, Verfolgung und Gefahr dein Geschenk für 2023 nicht kaputtmachen können: Denn deine Zuversicht im kommenden Jahr ruht nicht darauf, dass dir schon nichts zustößt, der Rheinländer sagt: „Et hätt noch immer joot jejange“. Du bist in Wirklichkeit so ausgeliefert: Es gibt so viel, was du nicht ändern kannst, was über dich Macht hat, was dich ohne große Gegenwehr unterkriegen kann. Höhere Mächte: Krisen. Krankheiten. Naturgewalten. Staatsgewalten. Der Paulus zählt sie auf, die Mächte über und auf und unter der Erde, die einem Menschen der Antike vor Augen geführt haben, wie klein er ist. (Übrigens ist die Pointe dieser Aufzählung der Tritt in den Hintern, den er allen diesen Mächten gibt, gegen die er nicht ankann, mit einem einzigen Wort: Er nennt sie „Kreaturen“ und stellt sie damit auf die gleiche Stufe wie Flöhe, Viren oder nervige Zeitgenossen.)

Du bist nicht unverwundbar. Aber die Verbindung zu Christus ist es! In dieser Verbindung steckt vielmehr Kraft, als du auf den ersten Blick vielleicht vermutest. Paulus sagt, sie ist es, die dich alles überwinden hilft, was dich unterkriegen will! Du überwindest alles … durch Geliebt-Werden! Also durch etwas, was du gar nicht herstellen kannst, sondern wobei du passiv bist: Du wirst geliebt. Und diese Liebe kann nicht kaputtgehen. Und keiner kann sie überwinden: Kein Klimawandel, kein Staatsbankrott, keine Krebsdiagnose, kein berufliches Scheitern keine Arbeitslosigkeit, keine Strafanzeige, keine Ehescheidung, keine Altersdemenz, keine Pflegebedürftigkeit, keine Depression und keine Angstattacke.

Dieses Geliebt-Werden könnt ihr im neuen Jahr einüben. Das muss man nämlich erst mal zulassen! Ich kenne viele, die würden sagen: Das ist schön und gut, dass Gott mich liebt und so weiter. Ist aber irgendwie auch weit weg von meinem Alltag, meinem Leben, meiner Arbeit, der Schule und dem Fernsehprogramm und dem Internet-Chatforum.

Aber stell dir vor, du hast einen Liebesbrief zu Hause und denkst, es wäre ein Märchen oder ein Kochrezept oder eine korrigierte Klassenarbeit. Ihr habt den Liebesbrief von Gott alle zu Hause rumstehen! Nur dass die Wenigsten die Bibel so lesen, als wäre sie Gottes Liebesbrief an dich. Seine Biographie, in der du so lesen musst, dass du merkst, wo du drin vorkommst.

Dann sickert das Bewusstsein langsam bei dir vom Kopf ins Herz, dass du geliebt bist. Egal was ist und egal was kommt. Dieses Geschenk ist unzerstörbar. Atombombensicher. Wenn das stimmt, dass Gott uns seinen Sohn geschenkt hat, dann gibt’s doch gar nichts, kein Versprechen, was du dir ausdenken könntest, was du damit nicht hättest! Ich meine nicht deine Weihnachtswunschliste, sondern was du dir wünschst, wenn du Lebensbilanz ziehst.

Also, mach einen Strich unter dein Leben. Und dann schreib nicht darunter, was du alles erreicht und versäumt hast und was alles noch auf der To-do-Liste für den Rest deines Leben steht, sondern lass den unterschreiben, von dem du geliebt wirst und der für dich ist.

Amen.