Mit der Aufnahme gab es an diesem Sonntag technische Probleme, deswegen stellt uns Armin hier sein Manuskript in Textform zur Verfügung:
Predigt über Genesis 15, 1-6
Am 15. Sonntag n.Trinitats, 17.9.2023 in Greifenstein und Edingen
Liebe Edinger (Greifensteiner) Geschwister!
Wann hast du das letzte Mal in den Sternenhimmel geguckt? Ich habe mich neulich Anfang August bei uns nachts mit einem Liegestuhl in den Garten gesetzt, um die Plejaden zu beobachten. Zuerst sieht man nicht viel. Vor allem dann nicht, wenn an der Ecke noch die Straßenlaterne leuchtet. Und in unseren Städten kann man das eigentlich komplett vergessen, weil das Streulicht höchstens zulässt, dass du eine Handvoll Sterne ein bisschen funzeln siehst. Bei uns hier oben ist das noch ein bisschen besser. Wenn du die Geduld hast, dass sich deine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Dann geht die Straßenlaterne aus, es ist wirklich dunkel. Und dann erscheinen sie langsam. Die Sterne. Tausende. Millionen. Die Milchstraße. In 3D. Der Nachthimmel bekommt Tiefe. Unendlichkeit. Ich fange unwillkürlich die Enterprise-Melodie zu summen an. „Unendliche Weiten. Sternzeit soundso …“ Dann aber auch das Kinderlied: „Weißt du wieviel Sternlein stehen…“ Und fühle mich in der Unendlichkeit nicht verloren auf einem Planeten in einem Sonnensystem am Ende eines Spiralarms unserer Galaxie, in deren Mitte ein gewaltiges schwarzes Loch sich alle Materie drum herum langsam einverleibt. Sondern geborgen.
Vielleicht aus dem Grund, weil mich der Blick in die Sterne weglenkt von der Dauerschleife von irdischen Problemen und Sorgen, die mich einfach nie in Ruhe lassen. Vielleicht lehrt einen dieser Blick in die Weite wirklich, wie es geht, sich mal keine Sorgen um alles Mögliche zu machen und neue Perspektiven zu bekommen: Gib deiner Seele Zeit, sich an die Weite zu gewöhnen. Such nicht sofort nach Problemlösungen. Sondern lass es zu, woanders hinzublicken. Auch nach oben. Und dann sehen deine Probleme hinterher auch nochmal anders aus.
So ähnlich ging es dem, von dem im Predigttext gleich die Rede ist, auch, glaube ich. Beim Blick in die Sterne. Der steht im Buch Genesis, Kapitel 15 die Verse 1 bis 6. Abraham war aus seiner Heimat aufgebrochen, um mit seinen 75 Jahren nochmal neu anzufangen. Statt zu Hause Kreuzworträtsel zu lösen, betrat er Neuland. Aber mit Gottes Segen, mit nichts in der Tasche als seiner Verheißung und mit einer unverbrüchlichen Verbindung zu ihm, der ihm versprochen hatte: „Du kannst dich auf mich verlassen. Ich bin da, wenn du mich brauchst. “Da hatten sich zwei zusammengetan, das erste Mal in der Menschheitsgeschichte, und wurden unzertrennlich. Der eine versprach, treu und zuverlässig zu sein, Gott, der sich später der Gott der Väter nannte, und der andere glaubte ihm. Ließ sich also an die Hand nehmen, wenn man so will. Damit nahm die Verbindung von Treue und Glaube seinen Anfang, erzählte die Bibel. Und eine lange Geschichte fing an.
Diese lange Geschichte schien aber eine ziemlich kurze zu bleiben. Denn das mit dem Neuanfang würde schon an der Biologie scheitern. Ihr wisst es, Abraham und seine Frau Sara hatten keine Kinder. Double income no kids ist damals kein zukunftsweisendes Lebensmodell gewesen, die beiden hatten buchstäblich keine Zukunft. No future. Die letzte Generation sozusagen. Und so klingt dann Genesis 15: „Nach diesen Ereignissen kam das Wort des Herrn in einer Vision zu Abram: „Fürchte dich nicht, Abram! Ich selbst bin dein Schild. Du wirst reich belohnt werden.“ Abram erwiderte: „Herr, mein Gott! Welchen Lohn willst du mir geben? Ich werde kinderlos sterben, und Elieser aus Damaskus wird mein Haus erben.“
Ohne Kinder zu bleiben, das war keine Belohnung damals. Das war wirklich eine Perspektive ohne Zukunft. Das hieß: Altersvorsorge kannst du knicken. Das fühlte sich vielleicht so an, als hätte sich heute dein Pensionsfonds in Rauch aufgelöst. Das Aktienpaket, das deinen Ruhestand absichern sollte, ist kaum noch das Papier wert und die Inflation frisst den letzten Rest der Rente auf. Eigentlich kann man sich nur noch eine Grube graben und sich gleich da reinlegen.
Also Abraham hatte echte Existenzsorgen. Und hielt seine Zukunftsaussichten für trübe, gelinde gesagt. Vielleicht ist das gar nicht so weit weg von den Aussichten, die die gefühlt letzte Generation heute für uns alle sieht und sich fragt: Mensch, wie soll das alles bloß weitergehen, wenn‘s so nicht mehr weitergeht? Davon, sich die Augen und die Ohren zuzuhalten und einfach keine Nachrichten mehr zu gucken, gehen die Probleme ja auch nicht weg: Was Wetterextreme wirklich für Menschen bedeuten, dass erleben wir dieses Jahr live und in Farbe. Auf der einen Hälfte des Globus brennt‘s, auf der anderen schwimmt alles weg. Tolle Alternative. Das wird die neue Normalität! Wer da keine Kinder mehr in die Welt setzen will, wird freiwillig wie Abram und Sara und fühlt sich als letzte Generation. Und ich sitze manchmal zu Hause und gucke nicht in die Sterne, sondern in die Röhre und frage: Was soll aus unserer Gemeinde, aus unserem Land und aus der Welt bloß mal werden?
Und so geht die Szene in Genesis 15 dann weiter: „Da kam das Wort des Herrn zu Abram: „Nicht Elieser wird dich beerben, sondern dein leiblicher Sohn wird dein Erbe sein.“ Dann führte er Abram nach draußen und sagte: „Betrachte den Himmel und zähle die Sterne – wenn du sie zählen kannst!“ Er fügte hinzu: „So zahlreich werden deine Nachkommen sein.“
Die Antwort Gottes auf die Sorgen Abrams ist bemerkenswert. Sie ist typisch. Und klingt ein bisschen so, als würdest du dir den Kopf machen über den nächsten Schritt, die nächste Klausur, die du bestehen musst oder du nicht weißt, wie du die nächste Chemo überstehen sollst, und Gott führt dir einen Film vor, der zehn, ach was sag ich Tausend Nummern zu groß ist. Du machst dir Sorgen um deinen Lebensweg, deine klitzekleine Biographie, und Gott kommt mit Weltgeschichte. Statt der Lösung eines Problems vor deiner Nase kriegst du die Aussicht auf das denkbar größte Panorama, eigentlich auf das beste Happy End weit weg. Letztendlich steht hinter deinem kleinen Problem plötzlich die Ewigkeit in Gestalt eines Sternenhimmels.
Was soll Abram mit der Aussicht auf ein paar Milliarden Nachkommen, wenn seine allernächste Zukunft verbaut zu sein scheint? Außerdem konnte der so weit überhaupt nicht rechnen, in der Antike, geschweige denn in der Bronzezeit gab es für Zahlen über 10.000 überhaupt kein Wörter, das war einfach ein Aion.
Wenn du ängstlich bist und dir kommt einer mit der Ewigkeit, dann kann einen das einfach mundtot machen. Dann bist du baff, du staunst rum, aber bist du dann getröstet? Abrams Reaktion ist aber genauso bemerkenswert, und damit schließt dieser Abschnitt und unser Predigttext in Genesis 15: „Abram glaubte dem Herrn, und der rechnete ihm Gott als Gerechtigkeit an.“
Abram glaubte trotzdem, gegen allen Augenschein, obwohl er nichts kapiert hatte und sich die ganze Sache nicht mal vorstellen konnte, und Gott rechnete ihm das hoch an: „Respekt, Alter.“ Man kann jetzt ganz schnell mit der Geschichte fertig sein, indem man ruft: „Toll, was für ein Glaube, sagenhaft, das Unmögliche für möglich halten.“ Bei Gott sind ja bekanntlich alle Dinge möglich, tolles Glaubensvorbild, der Abraham.
Dieser Satz hat mächtig Eindruck gemacht, sogar auf den Apostel Paulus, der im Römerbrief den Glauben für das Entscheidende hält, das Vertrauen darauf, dass Gott aus allem was machen kann, auch aus nichts, und nicht einfach nur unsere Leistung belohnt. Und dafür auf den alten Abraham verweist. Alles applaudiert und denkt dann den rheinischen Konjunktiv: „Künndisch nit.“ Kennt ihr, diese Reaktion auf frommes Vorturnen: Toll, ist mir aber zwei Nummern zu groß. Die Predigt ist fertig und keiner ist getröstet, nimmt seine eigenen Sorgen wieder mit nach Hause und hat auch noch ein schlechtes Gewissen, weil ihm das nicht gelingt, so doll zu glauben.
Aber ich möchte euch heute zeigen, dass in dieser Szene wirklich Trost und Weisung, beides, steckt. Indem Abram mit seinen Sorgen eine andere Blickrichtung einnehmen soll, wird seine Sicht aufs eigene Leben relativiert. Das heißt, in einen neuen Zusammenhang gebracht. Wie man seine Sorgen garantiert nicht loswird, das ist, selber immerzu die Kontrolle behalten zu wollen und den Blick nicht vom Problem nehmen zu können. Je größer die Kontrollsucht wird, desto größer wird auch die Sorge! Nicht kleiner. Egal, ob du alles richtig machst und alles kontrollierst. Deine Sorgen verschwinden nicht mit der Minimierung des Risikos oder der Verantwortung. Im Gegenteil! Man muss loslassen lernen. Sich von Gott den Blick wenden lassen. So macht das Jesus übrigens auch. Was der in der Bergpredigt sagt, habt ihr gerade wieder gehört, das ist im Grunde ganz ähnlich wie bei uns der Blick in den Sternenhimmel: „Guckt mal die Vögel da, die kriegen ihre Brut doch auch groß, ohne sich nen Kopp zu machen.“
Es liegt nämlich nicht an den Problemen, ob die klein oder groß sind, ob es Lösungen dafür gibt oder nicht, dass man nicht aus der Sorgenschleife rausfindet. Man kann den Spieß übrigens auch umdrehen: Bei der Dankbarkeit ist das nämlich ganz ähnlich: Da gibt’s die gleiche Logik: Du wirst nicht umso dankbarer, je mehr du beschenkt wirst, und wenn du zugeschüttet bist mit Gütern und Gaben, dann bist du am dankbarsten. Im Gegenteil: Du bist umso dankbarer, je mehr du vom Geber mitkriegst! Je mehr du realisierst, wer dich eigentlich beschenkt. Je mehr du begreifst, wie gerne Gott gibt. Und wie abhängig du von Gott in Wirklichkeit bist. Egal wieviel Sicherheit du hast. Wie wenig du wirklich kontrollieren kannst.
Du sollst nicht auf dich gucken. Du sollst auf Gott achten! Sagt Jesus. Wenn du Gott bei der Arbeit siehst, dann hörst du auf, dir Sorgen zu machen. Das bedeutet: „Sucht zuerst Gottes Reich, guck meinetwegen in den Sternenhimmel, und alles andere ergibt sich.“ Das ist auch gemeint mit dem Sprichwort: „Du kannst Gott erzählen, wie groß deine Sorgen sind. Aber dann musst du deinen Sorgen auch erzählen, wie groß Gott ist.“ Im Grunde passiert in Genesis 15 genau das! Das ist eigentlich auch das, was Jesus tut: Er malt den Leuten aus, wie Gott am Werk ist. Wie er auf jeden einzelnen aufpasst, als gäbe es nur ihn auf der Welt.
Es geht also nicht darum, ob du stark und vertrauensvoll genug bist, um deine Sorgen in Schach zu halten. Du brauchst keinen großen Glauben, um Gott zu vertrauen. Du brauchst einen großen Gott! Es geht darum, ob du glaubst, dass Gott groß genug ist. Dass er wirklich an der Arbeit ist: Und nicht oben rumsitzt und zuguckt und sich ab und zu mal meldet.
Da liegt der Hase im Pfeffer: Eigentlich glauben wir ja alle offiziell, dass Gott sich um uns kümmert; aber oft eben nur theoretisch. Wenn’s ans Eingemachte geht, dann lebe ich doch so, als gäbe es Gott gar nicht. Meine Sorge hat ihre Wurzel in der Angst, die mich buchstäblich in die Enge treibt. Und dann sehe ich den Wald vor Bäumen nicht mehr. Und Gott erst recht nicht. Und die Sterne auch nicht mehr.
Aber an dieser Stelle bringt Jesus deine Sorgen wieder in ein Verhältnis zu Gott. Der wirklich was tut. Die ganze Zeit. Jesus nimmt das, was dir den Schlaf raubt, und stellt es neben den Vater im Himmel. Und dann sollst du vergleichen. Das bedeutet es, seine Sorgen zu relativieren. Also in ein Verhältnis zu setzen. Er malt den Leuten den Gott aus, der bei der Arbeit ist; der alle deine Haare auf dem Kopf gezählt hat. Nichts geschieht, ohne dass Gott dabei ist. Kein Sack Reis fällt in China um, ohne dass Gott wegsieht oder unaufmerksam ist. Den auch der schlimmste Schlammassel nicht davon abbringt, sein Ziel zu erreichen. Damit ich anfange, mir Gottes Größe und Güte vorzustellen.
OK. Nach Abrahams Ausblick in den Sternenhimmel und der großen Verheißung ist zunächst noch kein einziges Problem gelöst. Und natürlich soll ich selber auch was tun! Aber eben nicht meinen Beitrag mit Gottes Werk verwechseln. Aber das ist eine neue Predigt.
Jetzt ist erstmal alles noch offen. Die Frage: Wie können alte Leute doch noch Nachkommen kriegen ist weiterhin ungeklärt. Wie Gott mit Abraham weitermacht, das wird hinterher das reinste Abenteuer, ihr kennt ja die ganze Geschichte. Erst wird ihm wirklich ein Sohn versprochen, dann ist der wieder gefährdet, soll geopfert werden, alles wieder auf Anfang, was soll das, es gibt Streit in der Familie, die Ansiedlung in Kanaan ist auch kein Spaziergang, und so weiter, es entfaltet sich die ganze Geschichte des Volkes Gottes mit allem Auf und Ab. Bis zum Happy End ganz am Schluss ist es noch ein weiter Weg. Das deutet der nächste Abschnitt in Genesis 15 an, der gleich danach kommt, da hat Abraham nach seinem Erlebnis unter dem Sternenhimmel einen bizarren Traum und bekommt das alles angedeutet.
Und bei uns ist mit der Aussicht aufs Happy End auch noch kein einziges Problem gelöst. Aber sie stehen alle unter einem Sternenhimmel, der uns nicht auf den Kopf fallen wird, und wenn es ein weiter Weg wird und alles nicht einfach wird: Gott ist immer noch bei der Arbeit, und das Ziel steht schon fest. Das nimmt den Sorgen den Stachel. „Der Glaube sieht den Bogen des Bundes, wo die Vernunft die Wolke der Trübsal sieht“, hat der englische Prediger Charles Spurgeon mal gesagt. Das passt hierher, dachte ich. Bei uns sieht der Glaube die Sterne und weiß sich geborgen, während die Sorge nur in die Schwärze starrt.“ – „Weißt du, wieviel Sternlein stehen, an dem weiten Himmelszelt.“
Amen.