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Predigt

04.11.18 – Armin Kistenbrügge – Heilig ist nicht heimelig

Predigt über Jes 6, 1-8: Heilig ist nicht heimelig (1. Teil der Predigtreihe)

Am 23. Sonntag nach Trinitatis, am 4.11.2018 in Greifenstein und Edingen

(Kanzelgruß)

Liebe Edinger (Greifensteiner) Geschwister!

Was ist dir so richtig wichtig?
Vielleicht ist das Wortklauberei,
kleinlich,
irgendwie schon fast peinlich,
aber die Frage ist doch:
Was ist dir heilig?


So fragt Poetry-Slammer Marco Michalczik.

Wenn man so fragt, ist die häufigste Antwort vorhersehbar: Das sind die Menschen, die du liebst, deine Familie, was dir lieb und teuer ist. Und dann ist heilig die Steigerung von wertvoll, danach kommt teuer, unbezahlbar, und dann kommt: heilig. Das ist ein Wert. Der keinen Preis mehr hat.

Ich hatte als kleiner Junge einen Stoff-Matrosen. Johnny.Den habe ich überall hin mitgenommen. Der durfte nie fehlen. Jonny war größer als ich kleiner Dreikäsehoch, und ich habe ihn im Arm gehabt, den habe ich geliebt, beschützt, er hat mir Geborgenheit gegeben, und irgendwann war er so begrabbelt, abgewetzt, dass er von meiner Mama kaum noch zu flicken war. Der war für mich heilig.

Wenn Gott heilig ist, ist er das auch so? Mein Kuscheltier, nur eben noch wertvoller? Psychologen wollen einem genau das einreden. Für die ist die Gottesvorstellung auf derselben Linie wie das sogenannte „Übergangsobjekt“, also das Kuscheltier für Kinder. Das dir Geborgenheit vermitteln. Wie dem auch sei: Auf jeden Fall bin ich es dann, der das Prädikat „Heilig“ verleiht. Leute, ich sag es lapidar und deutlich: Das hat mit der Heiligkeit Gottes nichts zu tun. Das Heilige in der Bibel ist nichts, was ich beschützen müsste. Oder könnte. Das Heilige ist in der Bibel das, wovor du dich schützen musst.

Heilig, das ist in der Bibel ein großes Warnschild, das sagen will: ACHTUNG! Abstand halten!

Als Mose aus Ägypten abhauen musste, tauchte er auf der Halbinsel Sinai unter und hat da als Hirte gearbeitet. Eines Tages war er mit seinen paar Schafen am Rande der Wüste unterwegs, da sah er etwas, was es eigentlich gar nicht geben dürfte. Irgendwas war an diesem Ort merkwürdig. Mose war fasziniert und verunsichert zugleich: Ein Dornbusch, der in Flammen stand, ohne zu verbrennen. Eine Kraft, die überströmt, einen aber nicht verzehrt, sondern ansteckt. „Schuhe aus“, hörte er eine Stimme raunen, „du stehst auf heiligem Boden.“ Da ahnte Mose: „Ich muss irgendwie bei Gott im Wohnzimmer gelandet sein.“ Die Stimme sprach: „Ich bins. Der Gott deiner Vorfahren.“

Liebe Geschwister, in dieser Szene steckt das, was die Bibel meint, wenn sie von der Heiligkeit Gottes spricht. Dazu gehören immer zwei Aspekte: Das Unheimliche, das, was dich verunsichert und dich Abstand halten lässt, und das Faszinierende, was Anziehungskraft auf dich ausübt, und du ahnst: Wenn du damit in Berührung kommst, verändert dich das. Von Grund auf. Du bist hinterher ein anderer.

Wer dem heiligen Gott begegnet, geht hinterher nicht nach Hause und erzählt: „Du, ich hab gestern in der Wüste den lieben Gott getroffen. Aus Versehen. War ganz nett. Weißt du, wie der mit Vornamen heißt: „Jahwe“, hat er gesagt.

Wer Gott begegnet, der ist hinterher ein anderer. Mit wem Gott redet, der bekommt von ihm eine Berufung. Immer. Bei jeder Gottesbegegnung in der Bibel. Du wirst völlig neu ausgerichtet. Dessen Leben hat danach eine andere Richtung. Einen Sinn. Eine Aufgabe. Eine Bestimmung. So wie bei Mose. Wer Gott begegnet, der hat keine neue Bekanntschaft gemacht, sondern den hat Gott gefunden. Es ist immer umgekehrt: Nicht du findest Gott. Er findet dich. Und lässt dich nicht wieder los. Du kannst Gott nicht haben. Gott hat dich. Und er bleibt dir entzogen. Aber du kommst nicht mehr von ihm los. Diese beiden Seiten der Heiligkeit Gottes begegnen euch auch in der Szene mit dem Propheten Jesaja, die ihr gerade in der Lesung gehört habt.

Eines Tages saß Jesaja nichts ahnend im Tempel, da fing plötzlich die Erde unter ihm an zu beben. Der Raum füllte sich mit Rauch. Vor sich sah er Serafim, Wesen mit sechs Flügeln, die das Heiligtum Gottes bewachten, die unaufhörlich mit tiefer Stimme „Kadosch, Kadosch, Kadosch, Jahwe Zebaoth“ sangen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der von den Himmelsheeren Umgebene.“ Jesaja zog die Kapuze runter und traute sich kaum aufzusehen. Dann wagte er doch einen Blick und sah, wie schon der Mantelsaum Gottes den gesamten Tempel ausfüllte. Dem Propheten ging des durch Mark und Bein: „Ich bin verloren, wer den heiligen Gott sieht, verglüht wie eine Fliege an der Heizröhre. Ich bin nicht heilig, und was ich sage, ist von der Wahrheit meilenweit entfernt.“ Aber eines der Wesen berührte mit einem glühenden Stück Kohle vom Räucheraltar seine Lippen: „Damit sind deine Worte von aller Schlacke befreit.“ Jesaja hörte eine Stimme vom Thron Gottes her dröhnen: „Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen?“ Und Jesaja flüsterte kleinlaut: „Hier, ich, Herr, sende mich.“

Merkt ihr, wie hier beides geschieht: Als Jesaja der Heiligkeit Gottes begegnet, realisiert er den unendlichen Unterschied. Er merkt, wie er nicht mal einen Zipfel von der Größe Gottes wahrnehmen kann. Und wie riesig der Abstand zwischen Mensch und Gott ist. Gott ist nicht einfach das, was der Mensch gerne wäre, gut und stark und wahr, also unser vergrößertes Wunschbild. Sondern ein Gegenüber, das dich komplett aus der Bahn wirft. Denn du begegnest damit der Wahrheit über dich und merkst, wie klein du bist. Wie endlich. Wie verletzlich. Du bist in der Perspektive der Ewigkeit nicht mehr als ein Staubkörnchen.

Und Gott ist das Gegenteil. Wenn Gott redet, dann entsteht eine neue Welt. Dann wird aus dem Nichts die Wirklichkeit. Dann wird aus dem Tod das Leben. Bei dir ist es anders rum. Und auch, was du denkst und sagst, taugt nicht für die Ewigkeit: Wenn du den Mund aufmachst, dann kommt da nicht die Wahrheit raus, sondern ein Kuddelmuddel aus Wünschen und Meinungen, aus heimlichen Absichten und halbbewussten Verdrehungen. Mann, du bist doch nicht mal Herr über deine Erinnerungen! Du kannst von Gott gar nicht reden! Das einzige was du kannst, ist das bekennen und Gott das Wort zu lassen. Und ihm die Ehre zu geben. Also seine Heiligkeit zu wahren. Hat vor 100 Jahren der Theologe Karl Barth der ganzen theologischen Geschwätzigkeit seiner Zeit entgegengeblafft. Wenn du von Gott redest, das wäre so, wie ein Blinder über die Farbe phantasiert!

Die Wahrheit ist nicht etwas, das du hast. Wenn du ihr begegnest, dann ist das zuerst kaum auszuhalten, und dann hat sie dich! Und du kannst dich ihr nicht mehr entziehen.

Ich muss euch an der Stelle von einem Film des russischen Regisseurs Andrej Tarkowski erzählen. Dauert drei Stunden. Aber wenn du den Film gesehen hast, bist du ein anderer. Er heißt „Der Stalker“. Ein Stalker ist in diesem Film ein Führer, ein Guide in die sog. „verbotene Zone“, ein verstrahltes Gebiet, wo es heißt, da kommst du nicht mehr unverändert raus, wenn du mal drin warst. Aber dort gibt es einen besonderen Ort, einen heiligen Platz. Und der Stalker kann Menschen dahin führen. Das ist im Grunde eine Figur wie ein Priester. An diesem Ort begegnen sie ihrem tiefsten Sehnen, und ihr geheimster Wunsch wird offenbar und geht in Erfüllung. In dem Film führt nun dieser Guide zwei Männer an diesen gefährlichen Ort, der Weg dahin ist mit Herausforderungen und Prüfungen gepflastert, sie entdecken unterwegs, was für arme Würstchen sie in Wirklichkeit sind, dass sie im Grunde überhaupt nicht dazu taugen, an diesen Ort zu kommen. Und dann stehen sie an der Schwelle. Und keiner geht rein. In dieses Heiligtum. Keiner wagt es.Weil sie davor Angst haben, der Wahrheit über sich zu begegnen. Weil womöglich der tiefste Wunsch von dir überhaupt nicht das ist, was du ansehen möchtest.

Versteht ihr ein bisschen tiefer, warum Jesaja so außer sich ist, als er dem heiligen Gott begegnet?

Einmal im Jahr musste der Hohepriester am großen Versöhnungstag ins Allerheiligste im Jerusalemer Tempel. Um dort mit einem Opfer Vergebung für die Sünden des ganzen Volkes zu erbitten. Zur Zeit Jesu band man ihm dafür einen Strick um den Leib. Um ihn wieder rausziehen zu können, wenn er die Begegnung mit dem heiligen Gott nicht aushalten würde, weil auch ein Hoherpriester nichts weiter ist als ein armes Würstchen, nicht besser als alle anderen.

Aber es passiert ja noch etwas anderes in der Szene im Buch Jesaja. Nicht nur die Begegnung mit dem, was dich aus der Bahn wirft. Sondern das, was an Gottes Heiligkeit so anziehend ist, dass man sich ihr nicht entziehen kann. Was einen verändert.

Dass man sich da nicht mehr dafür oder dagegen entscheiden kann und wehrlos ist, klingt für euch vielleicht wie ein Überfall. Übergriffig. Wenn man sich nicht entziehen kann. Aber wenn du dich verliebt hast, kannst du dich auch nicht mehr dafür entscheiden, nicht zu lieben. Dann hat sie dich. Die Liebe. Nicht du hast sie. So hat dich die Wahrheit. Nicht du hast sie in der Tasche. So hat Gott dich. Nicht du ihn. Das ist Heiligkeit.

Diese andere Seite von Gottes Heiligkeit, die faszinierende, anziehende, bewirkt die Verwandlung, die dich zu einem macht, der sagen kann, was Gott sagt. Der Gott zu Wort kommen lassen will und kann. Dessen Mund zum Sprachrohr Gottes werden kann, wenn er sich von Gott berühren lässt. Das ist die Szene, wo von dem Altar ein Stück desinfizierende Kohle die Lippen des Propheten Jesajas berührt. Wer von Gott wirklich mal angesprochen wurde, der kann sich dem nicht mehr entziehen. Der kann gar nicht mehr anders. Nicht weil du ihn für so wertvoll und heilig hältst, dass du ihn überall hintragen musst. Sondern weil er dich hat: Nicht gepackt wie seine Beute, sondern ausgewählt und mitgenommen. Aufgehoben und beschützt wie etwas Einzigartiges, Wertvolles. Denn die Wahrheit ist: Du bist ihm wertvoll, so kostbar, dass der Riesenunterschied nicht mehr wichtig ist. Du bist ihm heilig.

Nicht du heiligst Gott. Gott heiligt dich. Aber darüber rede ich das nächste Mal.

Amen. (Kanzelsegen)