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Predigt

11.11.18 – Armin Kistenbrügge – 2. Teil der Predigtreihe „Heilig“

Predigt über 2. Kor 4,7-12 (2. Teil der Predigtreihe „Heilig“)  

(Kanzelgruß)

Liebe Edinger (Greifensteiner) Geschwister!

Nicht du heiligst Gott. Gott heiligt dich. Damit haben wir letzte Woche aufgehört. Könnt ihr euch erinnern? Nicht du heiligst Gott: Dass Gott heilig ist, das ist nicht dein Werturteil, wie wertvoll und heilig er dir ist. Nicht du machst Gott heilig. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Er heiligt dich. Weil du ihm so wichtig bist, dass du nicht mehr von ihm getrennt bleiben sollst. Er will dich bei sich haben. Ihr habt‘s ja eben gehört. In dem Filmclip aus dem Poetry-Slam von Marko Michalczik war das die Schlusspointe. Das möchte ich euch heute noch ein bisschen erklären. Was das wirklich bedeutet.

Das normale religiöse Konzept von Heiligkeit geht so: Gott: groß. Du: Klein. Gott ist alles. Und du bist nix. Er ist das Licht, und bei uns ist es duster. Er ist die Wahrheit, und wir sind doof, wir erkennen von der Wahrheit nicht das ganze Bild, sondern nur die Umrisse vom Schatten. Und das auch noch seitenverkehrt. Er ist vollkommen, und du bist von der Perfektion so weit entfernt wie eine olle Kartoffel vom Ebenmaß einer Kugel. Er ist die absolute Reinheit, und bei uns ist alles kontaminiert. Gott ist heil. Und ich bin kaputt. Heilig, heilig, heilig. Boah, wie toll ist Gott. Wie öde.

So könnte man von Heiligkeit sprechen: Als wäre man im Rein-Raum einer Computerchipfabrik, wo nicht das kleinste Staubkorn zu finden sein darf. Nicht berühren, sonst geht die Reinheit flöten! „Das Berühren der Figüren mit den Pfoten ist verboten.“

Aber das wäre völlig witzlos, den Unterschied zwischen Gott und uns zu betonen und mit erhobenem Zeigefinger zu sagen: Wer zu Gott will, muss sich vorher die Finger waschen! Das ist dann der altbekannte moralische Appell: Du sollst immer perfekter werden, dich anstrengen und immer heiliger werden, bis du dann irgendwann auch so heilig bist, dass du wirklich mit Gott in Berührung kommen darfst.

Das ist witzlos, weil das erstens nicht klappt.Und zweitens, weil Gott doch selber diesen Unterschied aufgehoben hat, der uns von ihm trennt. Darum geht’s doch gerade bei der frohen Botschaft!

Das ist doch, was Jesus die ganze Zeit gelebt hat:Sein Leben war doch das Gegenteil von „Finger weg, nicht berühren, zu heilig!“Jesus hatte überhaupt keine Berührungsängste. Es gab keinen, der sich jemals Jesus mit Furcht genähert hätte! Nicht einen, für den er zu heilig oder zu göttlich gewesen wäre. Er blieb nicht unnahbar, sondern bückte sich und fasste Menschen richtig an. War jemand, der sich von sündigen Menschen berühren ließ. Von Kranken. Von Unreinen, die aussätzig waren und von keinem angefasst werden durften. Damit man sich nicht ansteckte. Stattdessen kam Jesus und hat sich die Finger schmutzig gemacht. Ohne jede Berührungsangst. Ist so nahe rangegangen, dass er sich mit allem angesteckt hat. Nicht mit Krankheit. Mit Schuld. Mit Sünde. Er hat sich so unrein gemacht, dass er ich sogar die Sünde selber angezogen hat. Hat keinen Wert darauf gelegt, sauber zu bleiben. Daran ist er schließlich gestorben. An der Sünde, die er sich angezogen hat. Als hätte sich der Arzt mit der Viruskrankheit angesteckt, damit alle später das Impfserum kriegen.

Ihr müsst wissen, was das damals in Israel bedeutete: Der Tod war die ultimative Unreinheit. Mit dem kommt Gott nicht in Berührung. Das ist das Gegenteil. Schon wer mit Blut in Berührung kommt, darf Gott nicht mehr zu nahe kommen. Blut verunreinigt alles: Das kriegst du nicht mehr ab. Und dann erst der Kontakt mit Toten! Das geht gar nicht! Deshalb macht der Priester so einen großen Bogen um den Halbtoten am Straßenrand, der unter die Räuber gefallen ist: Weil der gleich Schicht im heiligen Tempel hat.  In der Geschichte vom barmherzigen Samariter.

Also mit Sünde beladen am Kreuz zu sterben: Unheiliger und unreiner geht’s nicht mehr. Und jetzt sagt die Bibel das Gegenteil: Da am Kreuz ist man Gott am nächsten!Also im Allerheiligsten. Und der Vorhang im heiligen Tempel zerreißt.Und was unrein ist, wird so zum Waschmittel:Durch dieses Blut wird die Sünde abgewaschen. Durch diese Wunden werden wir geheilt. Klingt paradox, aber gemeint ist: Durch diese Unheiligkeit Gottes werden wir heilig. Also mit Gott verbunden. Kommen mit ihm in Berührung. Das ist Heiligung.

Gottes mangelnde Berührungsangst färbt auf dich ab.

(Ich reibe mir unter der Kanzel heimlich die Hände mit weißer Kreide ein und gehe auf die Leute zu und fasse sie an.)

Wenn du dich von Gott berühren lässt, der sich die Hände schmutzig gemacht hat, dann hast du hinterher Zeichen seiner Nähe auf deiner Jacke. Du wirst gesegnet – und hast wieder einen Fleck von seiner Liebe irgendwo kleben.Er tröstet dich – noch ein Handabdruck, wo Gott dich umarmt hat.

Und jedes Mal, wenn Gott dir nahe kommt, wirst du ein bisschen angefasster.Nicht makelloser, sondern begrabschter. So wie das Kuscheltier, von dem ich letzte Woche erzählt hatte, das mir als kleiner Junge so heilig war, dass es überall hin mit musste und am Ende so begrabbelt war, dass man es kaum noch waschen konnte.

So trägst du die Zeichen von Gottes Liebe am Leibe. Von der Liebe, die selbst um die Krankheit, um das Leiden und die Schuld keinen Bogen gemacht hat. Das ist das Merkwürdige, seit Jesus am Kreuz alle alte Vorstellung von Gottes Heiligkeit umgekehrt hat:Wenn du Gott jetzt nahekommst, dann kriegst du auch davon was ab. Wenn er dich berührt, dann kriegst du auch von seinem Leiden was mit. Für den Apostel Paulus war genau das die Garantie, dass du auch an der Auferstehung Anteil hast, wenn in deinem Leben auch was vom Kreuz und vom Mitleid Gottes erkennbar war!

Mit jedem Kontakt mit Gott wirst du ein bisschen wie Jesus. Seine Liebe färbt auf dich ab. Sein Leiden berührt dich. Du wirst empathischer. Du leidest an der Unterdrückung anderer. Du bekommst ein größeres Herz. Keine größere Birne.Deine Liebe erträgt es, weniger zu bekommen als zu geben. Dein Portemonnaie geht nicht mehr richtig zu. Du bekommst größeren Mut. Du hast weniger Angst. Vor dem Leben und dem Sterben.

Merkt ihr, wie anders dieses Konzept von Heiligung ist? Da geht es nicht um das Streben nach Vollkommenheit, wenn man immer mehr wird wie Jesus. Stattdessen trägst du immer mehr Gebrauchsspuren. Weil Gott dich gebraucht. Und seine Liebe durch deine Hände geht. Und du es gewohnt bist, dich wie er zu bücken und Menschen aufzuhelfen, die unten sind. Deshalb hinterlässt auch die Welt ihre Spuren in deinem Leben. Am Ende hast du Narben, an Händen und am Herzen. Du bist alles andere als makellos. Aber wahre Heilige sind oll und dreckig. Amen. (Kanzelsegen)