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Predigt

09.12.18 – Kerstin Offermann – 2. Advent

Predigt von Kerstin Offermann zum 2. Advent am 09.12.2018

Hoffnung angesichts des Klimawandels

Kanzelgruß: Die Gnade Gottes und die Liebe Jesu Christi und die Gemeinschaft unseres Herrn Jesus Christus sei mit Euch allen!

Liebe Greifensteiner / Edingen Geschwister,

Advent ist ja die hohe Zeit der Paketboten.

Gestern hab ich ein Päckchen bekommen mit zwei Büchern drin. Die waren beide in Folie eingeschweißt und während ich sie noch aufgemacht haben, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Wegen der Folie. So wie ich immer ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich unsere gelben Säcke an die Straße stelle. Und wenn ich mit dem Auto nach Gießen fahre, statt mit dem Zug und, und, und …

Geht euch das auch so?

Nach dem Umweltgipfel sind die Medien ja voll von Appellen und von apokalyptischen Weltuntergangs-Berichten. Wir alle sind mit dran schuld. Ja, wir könnten sicherlich Müll und Abgas vermeiden, aber im Grunde fühlt man sich doch ohnmächtig, ich wenigsten! Gleichzeitig ist man erschreckt und gelähmt.

Ist euch schon mal aufgefallen, dass in diesen ganzen Weltuntergangs und Weltrettungs-Berichten Gott gar nicht vorkommt?

Sowohl den Weltuntergang als auch die Weltrettung schaffen wir inzwischen auch ohne Gott, scheint es. Es liegt nur an uns Menschen, ob die Welt gerettet wird, oder untergeht. Gott haben wir als unbrauchbar oder gar als schädlich herausgekürzt. Als Schöpfer hat er abgedankt. Wer davon spricht, dass Gott Einfluss auf das Weltgeschehen nimmt, ist gefährlich und wer von Gott die Rettung der Welt erwartet ist bestenfalls ein Träumer oder noch schlimmer: ein Blender und Vertröster. Darum bleiben wir mit der riesigen Aufgabe alleine zurück, mit einem schlechten Gewissen und mit dem Gefühl der Ohnmacht.

Genau auf diese Situation antwortet der heutige Predigttext des Propheten Jesaja.

Natürlich hatte Jesaja nicht uns und unserer Misere vor Augen, als er den Text geschrieben hat. Der Text ist schon 2500 Jahre alt. Die Menschen damals hatten ganz andere Sorgen. Der Text richtet sich eigentlich an Menschen, die durch die Wirren des Krieges zu Flüchtlingen geworden sind, heimatlos, unsicher, mit ihrer Kraft und ihrer Hoffnung fast am Ende. Aber der Text passt einfach zu gut in unserer Realität, in unsere Konflikte und zu uns. Darum hört ihn, als wäre er für euch geschrieben:

1 Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien.
2 Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des HERRN, die Pracht unsres Gottes.
3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«
5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.
7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
8 Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Jesaja 35, 1-10

Das ist ein großer, wunderschöner Text voller Trost und Hoffnung. Für Menschen mit Heimweh, für Menschen, die nah am Verzweifeln sind.

Mich macht der Text etwas ratlos: wie wörtlich darf man das nehmen? Sind das bloß schöne Bilder, die quasi die eigentliche Aussage des Textes künstlerisch umranken? Die eigentliche Aussage wäre dann, dass Gott sich um die Kriegsflüchtlinge kümmern wird, dass Gott den Rechtlosen zu ihrem Recht verhelfen wird. Dass Gott sie zurückbringen wird in ihre Heimat. Und dass sie dort gute, ja beste Lebensbedingungen erwarten dürfen.

Sehr ausführlich und anschaulich erzählt der Text grade von der gesunden und heilsamen Natur rund um.

In Gottes Heilsplan gehört auch immer die Schöpfung mit hinein. In allen biblischen Zukunftshoffnungen wird immer auch eine intakte Schöpfung verheißen. Die Aussagen über die gesunde Umwelt sind nicht bloß schöne Bilder, nicht bloß Beigabe und Zierde.

Zukunft und Hoffnung sind in der Bibel mit irdischen Dingen verknüpft: mit Heimat und Familie, mit Wein und Honig, mit Lust und Wonne, mit Gerechtigkeit und Rechtsprechung.

Gerechtigkeit – also politisches Wohlergehen – und Fruchtbarkeit – also geschöpfliches Wohlergehen gehören in der Bibel untrennbar zusammen und beide haben ihre Wurzel in Gott.

Denn Gott ist sowohl der Schöpfer, als auch der Herr dieser Welt in all ihren Fassetten und Ausformungen.

Zumindest formuliert es so König Hiskia.

Er war zurzeit Jesajas König über Israel. In einer brenzligen politischen Situation sucht er Ermutigung und Hilfe bei Jesaja. Nachdem er beides von Jesaja bekommen, bekennt er:

HERR, du bist allein Gott über alle Königreiche auf Erden, du hast Himmel und Erde gemacht.

2.Könige 19,15

Beides gehört offensichtlich im Denken Jesajas eng mit der Heilsverheißung und der Zukunftshoffnung zusammen: dass Gott Schöpfer dieser Welt ist und dass er der souveräne Herr über alles ist, was geschieht.

Beide Gedanken sind für uns schwer auszuhalten.

Was sollen wir damit anfangen?

Gott als Schöpfer wurde doch in unserer Weltsicht zu 99% durch die Evolutionstheorie abgelöst. 1% gestehen wir Gott vielleicht noch zu, so ganz am Anfang oder so dezent im Hintergrund. Aber für mehr ist doch kein Platz, außer in der realitätsfremden Weltsicht von Menschen, die auch denken, dass die Erde eine Scheibe ist und dass es die Mondlandung gar nicht gegeben hat. Und selbst gegen dieses 1ne% Gott in unserer Welterklärung kämpfen die Biologen mit harten Bandagen. Wir brauchen Gott nicht mehr! Wir können die Welt selbst kaputt machen und auch selbst wieder retten –– vielleicht.

Und mit Gott als souveränem Lenker der Weltgeschichte haben wir doch noch erheblich mehr Schwierigkeiten, oder?

Wenn Gott der souveräne Weltenlenker wäre, wie hätte er dann all das Unrecht und Unglück ertragen und zulassen können? Wieso ist es denn dann noch so ungerecht und so kaputt auf der Erde?

Sorry, ich weiß, das sind irgendwie die ganz großen Fragen, die ich euch heute Morgen zumute. Aber der Text stellt sie uns. Der Text fragt uns, wie wir dazu stehen. Ob wir glauben können, dass Gott der Schöpfer, Herr und Erhalter dieser Welt ist.

Denn nach Jesaja hängt es von dem Wirklichkeitsgehalt dieser Glaubens-Aussagen über Gott ab, ob wir tatsächlich eine Hoffnung für die Zukunft unserer Welt haben können. Oder stimmt es doch, dass wir die Rettung der Welt selbst hinbekommen müssen und die biblische Hoffnung auf Rettung nur eine Vertröstung aufs Jenseits ist. Damit wäre unser Glaube dann wohl eine Weltflucht, oder?

Wenn es auf diese grundlegenden Fragen eine tragfähige Glaubens-Antwort geben kann, dann muss sie für uns Christen mit Jesus Christus zusammenhängen.

Jesus Christus hat für sich selbst in Anspruch genommen, dass er die Erfüllung dieser Verheißung von Jesaja ist. Als Johannes der Täufer aus dem Gefängnis heraus Jesus fragen lässt: „Bist du der, auf den wird warten? Bist du der Retter? Der Herr?“, antwortet Jesus ihm, indem er diese Stelle aus dem Buch Jesaja zitiert: „Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt. Und er ergänzt: „selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“

Die Behauptung, dass Jesus der Retter sein soll, der Herr der Welt, der Beginn einer neuen Schöpfung ist eben ärgerlich! Nicht erst für uns. Sondern von Anfang an.

Denn Jesus herrscht und rettet nicht so, wie wir uns das vorstellen, wie wir das gerne hätten, wie es für uns nachvollziehbar wäre.

Die Rettung, die durch Jesus Christus kommt, ist immer schon eine Rettung durch das Scheitern und die Katastrophe hindurch.

Johannes sitzt in Gefängnis, als Jesus ihm von Rettung und Befreiung erzählt. Und er wird das Gefängnis auch nicht mehr lebend verlassen, obwohl er an Jesus als seinen Retter glaubt.

Israel ist im Exil, hat die Katastrophe schon erlebt, als sie die Verheißung einer lebenswerten Zukunft von Jesaja zugesprochen bekommen.

Jesus selbst geht seinen Weg mit bewundernswerter Gradlinigkeit direkt auf die Katastrophe der Kreuzigung zu.

Einen Weg, der als uneheliches Kind unterwegs im Stall geboren und direkt zur Flucht gezwungen begann.

Das alles klingt nicht nach einem souveränen Rettungsplan.

Aber gleichzeitig ist genau dieser Weg Gottes unsere größte Hoffnung! Der Weg durch das Scheitern und das Chaos hindurch, durch die Katastrophe hindurch in ein wirklich gewandeltes, neues Leben. In einen echten Neuanfang, eine Neuschöpfung.

Ich glaube, Gott wählt diesen Weg, weil er, um uns wirklich zu retten, unserer Logik von Selbst- und Welt-rettung widersprechen muss. Sonst bleiben wir gefangen in unserer Weltsicht, in der für Gott kein Platz ist und die uns letztlich einsam und ungeliebt zurücklässt, die an der göttlichen Wirklichkeit vorbeigeht, weil sie so sehr auf die menschliche Wirklichkeit schaut.

In der menschlichen Weltverbesserungswirklichkeit ist die Aussage, dass Gott als Retter und als Richter kommt, eine Drohung.

Die Seite an mir, die sich angesichts der drohenden Umweltkatastrophe ohnmächtig fühlt, freut sich vielleicht darüber, auch wenn sie es nicht wirklich glauben kann. Aber die Seite mit dem schlechten Gewissen versteckt sich gleich noch tiefer in ihrem Schneckenhaus.

Wahrscheinlich werden wir uns vor Gott dafür verantworten müssen, was wir dieser Erde und einander angetan haben, oder? Dann kann sein Urteil ja nur vernichtend ausfallen. Dann kommt zum drohenden Weltuntergang auch noch das vernichtende Urteil Gottes…

Aber halt: so wird Gott nur ein Platzhalter für mein eigenes schlechtes Gewissen, für meine inneren Antreiber und für meine vergeblichen Versuche, mich selbst und die Welt zu retten. Gott ist sozusagen der verlängerte und verstärkte Appell von Politik, Wissenschaft und Medien.

Und damit eigentlich überflüssig.

Aber so ist Gott nicht. Gott geht andere Wege, um uns und diese Welt zu retten, und er richtet anders, als wir uns das vorstellen können.

Wer Gottes Gericht und Gottes Rettung begreifen will, kann das nur, indem er Jesus Christus ansieht.

Indem Gott selbst elend wird, ausgeliefert und hilflos. Indem Gott selbst heimatlos wird.

Indem Gott selbst zugrunde geht.

So schafft Gott Zukunft und Rettung für uns.

Weil mit Jesus eben in allem Elend Gott selbst drin ist.

Gott kommt in unseren Schlammassel hinein.

Die Müden und Verzagten, die sich ohnmächtig und schuldig fühlen, werden die Herrlichkeit Gottes sehen.

Mitten im Elend, mitten in der Arbeit für eine bessere Zukunft, ist Gott selbst schon da.

Gott hat sein Werk schon begonnen.

Der Auferstandene Christus ist der Keim der neuen Menschheit und der neuen Schöpfung. Mitten unter uns wächst sie schon.

Wir sind zugegebener Maßen erstaunlich blind dafür. Vielleicht sind wir ja die Tauben und Blinden, denen Jesaja Heilung verheißt. Wir können gar nicht mehr wahrnehmen, wie diese Welt mit Gott zusammengehört. Und wir sind auch die Lahmen und Stummen, die verlernt haben zu tanzen und zu singen, zu lachen und zu feiern, dass Gott da ist. Dass Gott die Weltrettung schon längst in Arbeit hat. Wir werden sehen und hören und tanzen und loben voll Freude und Wonne in einer wunderbar geretteten Welt, die uns jetzt schon umgibt.

Wenn wir uns also darum bemühen, fair und gerecht, klimaneutral und mitmenschlich zu leben und zu handeln, dann lasst uns das als Zeichen dafür tun, dass Gott bereits am Werk ist. Und dass Gott unserer noch so hilflosen und scheinbar nutzlosen, winzigkleinen Versuche brauchen kann und einfließen lässt in seine Rettung.

Bei Jesaja findet sich immer beides zusammen: Trost und Vergewisserung, zusammen mit Aufruf und Ansporn, die Verheißung wahr werden zu lassen.

Mache dich auf und werde Licht, denn dein Licht kommt.

Sei stark, tu, was du kannst, hoffe, glaube, und erwarte Großes von Gott!

Friedensgruß: Der Friede Gottes, welcher höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Liedstrophe: EG 11, 1.5-7+10 Wie soll ich dich empfangen