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Predigt

31.03.19 – Armin Kistenbrügge – Was macht wirklich satt? (Joh. 6)

Liebe Greifensteiner (Edinger) Geschwister!

Neulich kriege ich zu Hause einen Anruf. Es meldet sich eine Dame aus irgend so einem Callcenter und flötet mir ins Ohr, ich wäre als potentieller Teilnehmer bei der SKL-Lotto-Show ausgewählt worden, ich müsste jetzt nur noch ein paar Fragen am Telefon beantworten, ob mich freuen würde, mitmachen zu dürfen und möglicherweise was weiß ich wie viel Geld zu gewinnen. Ich sage: „Öh, eigentlich brauch ich das nicht.“

Am anderen Ende: „Was, sie wollen keine Million gewinnen?“ – “Nö. Ich hab genug.“ – „Na, hören sie“, ließ die Frau nicht locker, „man kann doch nie genug haben, oder?“, meint sie scherzhaft. “Doch“, antworte ich. „Ich hab wirklich keine Lust. Außerdem guck ich kaum Privatfernsehen, und die Show, von der sie erzählen, hab ich noch nie geguckt. Und werde ich auch in Zukunft nicht. Eine Show, in der die Gier aufs Geld gefeiert wird, finde ich blöd. Diese Welle um das Goldene Kalb geht mir auf den Zeiger.“

Die Frau im Callcenter hat wirklich einen bescheuerten Job, aber sie ist tapfer und bleibt dran. Als mir das schließlich wirklich zu blöd wird, habe ich das Verkaufsgespräch dann abgewürgt: „So, jetzt ist Schluss. Kennen Sie das Gleichnis vom reichen Kornbauern? Kennen Sie nicht? Steht in der Bibel. (Konnte sie wahrscheinlich nicht kennen, ihre Stimme klang nach Neufünfland.) Und, bitte, jetzt reden Sie mir nicht immerzu irgend einen Hunger nach irgendwas ein. Ich bin satt.“ Und dann hat sie aufgegeben. Und ich hab aufgelegt.

Unersättlichkeit ist heute, habe ich den Eindruck, zum Ersatz für Lebenslust geworden. Eigentlich ist das aber das Merkmal eines Suchtkranken: Nicht aufhören können.

Ihr habt gerade ein Stück aus der „Himmelsbrotrede“ von Jesus aus dem Johannesevangelium gehört, und ich möchte mit euch darüber nachdenken, was wirklich satt macht. Seelisch. So dass diese Unersättlichkeit weg geht, dieses ständige Gefühl, es könnte noch ein bisschen mehr sein. Kennt ihr diesen Satz an der Fleischtheke des Lebens: „Darfs auch ein bisschen mehr sein?“

Bevor Jesus diese Rede im Johannesevangelium hält, war er zum Picknick mit den Leuten draußen. Jesus hat die Leute ja satt gekriegt. 5000. Er hatte die Menge nicht bloß mit Worten abgespeist, die einem vielleicht runtergehen wie Öl, aber den knurrenden Magen nicht zum Schweigen bringen. Die Leute wurden wirklich satt – und wollten trotzdem noch mehr: Speisung nicht bloß von fünftausend, sondern am besten von fünf Milliarden Menschen; Speise nicht bloß für den Magen, sondern auch für den Geist und für die Seele; Brot nicht nur von Erde, sondern vom Himmel. Die ihm hinterherliefen, die erwarten das Leben von ihm – im umfassendsten Sinne. Sie laufen ihm hinterher, und Jesus versucht sich zu verdrücken. Aber sie bleiben ihm auf den Fersen, über den See Genezareth hinüber nach Kapernaum. In der Synagoge bedrängen sie ihn wieder. Und hier beginnt jetzt die Szene aus dem Johannesevangelium, die ich euch vorlese.

„(Die Menschen) entgegneten ihm: Welches Zeichen tust du, damit wir es sehen und dir glauben? Was tust du? Unsere Väter haben das Manna in der Wüste gegessen, wie es in der Schrift heißt: Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen. Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn das Brot, das Gott gibt, kommt vom Himmel herab und gibt der Welt das Leben. Da baten sie ihn: Herr, gib uns immer dieses Brot! Jesus antwortete ihnen: Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“

Joh. 6, 30-35

Jetzt also eine Predigt vom Sattwerden.

Draußen lese ich im Vorübergehen das Schild: „Original Himmelsbrot. Nur hier – und nirgendwo anders.“ Ich stutze und bleibe stehen. Ich hab wohl schon davon gehört, dass das was ganz besonderes sein soll. Hier gibt es das also tatsächlich! Ist aber wahrscheinlich bloß ein Werbegag von der Bäckerei, irgend so ein Müsliriegel, der verbrauchte Kraft sofort zurück zu geben verspricht, denke ich.

Aber ich habe wirklich Hunger. Seelisch. Immer noch. Irgendwie werde ich nie richtig satt. Ich kann in mich reinschaufeln was ich will, bevor ich satt bin, ist mir schlecht, und ich habe mich überfressen. Es kommt mir oben raus und ich kanns nicht mehr sehen. Mal hatte ich unheimliche Lust auf unterhaltsamen Süßkram, dann wieder auf was intellektuell Herzhaftes. Ganz frisch, oder lieber abgelagert, aufgetoastet – immer bleibt dieses Gefühl zurück, dass es das nicht ist. Dass da noch mehr sein muss.Dann dachte ich: Die richtige Mischung ist vielleicht das Entscheidende. Aber dann hatte ich auch die Auswahl bald satt. Es war auch nicht das Exklusive, der letzte Schrei, die Neuigkeit auf dem Markt, die einen bei der Neugier packt: war doch alles immer dasselbe: Brot eben, nichts weiter.

Nein, erst wenn man anständig gearbeitet hat, sich den Bissen so richtig redlich verdient hat, dann schmeckt es einem, und man ist zufrieden. Es ist der Lohn des Fleißes, des Erfolges. Hat meine Oma immer gesagt. Aber dann merkte ich: Auch das ist es nicht. Es muss mit Liebe gebacken sein, sonst schmeckt es immer gleich. Was ich alles schon an geistlichen Brotsorten versucht habe, um davon wirklich zu leben!

Ich trete also ein – und wundere mich:Das scheint gar kein Laden zu sein. Drinnen sieht es überhaupt nicht nach Bäckerei oder nach Lebensmittelgeschäft aus. Keine Regale, keine Auslagen, keine Kasse: Bänke, und vorne ein Tisch.

Ein Mann, dessen Alter ich nicht schätzen kann, kommt mir entgegen und begrüßt mich. (Tiefere Stimme, entspannt) Grüß Gott, was suchen sie? Die Frage klingt gar nicht wie bei so einem eilfertigen Verkäufer, der darauf brennt, alle seine Angebote, wo für jeden was dabei ist, vor mir auszubreiten. Dem Mann scheint ein gelungenes Verkaufsgespräch nicht so wichtig zu sein. Er ist nicht unfreundlich, aber offensichtlich weniger an seiner Ware interessiert als an mir: An meiner Suche. Mir ist das peinlich, seine Frage klingt wie eine Prüfung: „Was suchen sie?“ Ja, was suche ich eigentlich hier, in diesem komischen Laden?

(etwas höher) Also, da stand doch das Schild draußen: Ich hätte gerne mal von ihrem Himmelsbrot probiert. Soll doch was ganz Delikates sein, antworte ich, und möchte dem Mann eine goldene Brücke bauen, damit er nun endlich mit seinem Loblied auf die Vorzüge des Himmelsbrotes loslegen kann.

Und so ein Probehäppchen, denke ich, gibt’s doch auch im Supermarkt, damit die Leute das Neue erst mal kennen lernen. “Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“, das weiß jeder. Das müsste doch auch für seelische Speise gelten. So ein Schnupperangebot.

(Tiefer) Ich weiß nicht, ob unser Himmelsbrot wirklich das ist, was Sie suchen, meint der Mann. Statt mir eine Probe seiner Backkunst zu geben, werde ich in ein Gespräch verwickelt. Das verläuft aber anders als ich erwartet hätte. Es geht um mich. Nicht um sein Backwerk. (Tiefer) Sie suchen nach wirklichem Brot, beginnt er, und ich falle ihm geradezu in die Rede: (höher) Ja, nach dem Brot. Nicht nach irgendeinem. Dieses Himmelsbrot soll doch was wunderbar Göttliches sein, habe ich gehört.

(Tiefer) Wollen sie einfach nur etwas essen, oder wollen sie wirklich essen? Und satt werden?, werde ich gefragt.

Ich weiß nicht, ob er mich verstanden hat. Aber ich pflichte ihm bei: Genau das ist es. (höher) Ich habe schon soviel ausprobiert. Soviel Brot. Das Brot für den Magen, für den Geist, für die Seele; das Brot der Herausforderung, des Erfolges, der Anerkennung; das Brot des Friedens, der Freundschaft, der Liebe, der Verantwortung, der Arbeit, der Ruhe. Und nichts von dem macht satt. Man muss weiter essen, und weiter suchen nach dem Brot, das nicht vergeht, das nicht irgendwann hart und schimmelig wird. Ich habe weitergesucht, nach dem wirklichen Lebensmittel, das Leben gibt, nicht bloß das Leben erhält, oder verschönert, krönt.

(Tiefer) Sie suchen nach dem Brot des Lebens, höre ich ihn sprechen. (Tiefer) Und haben bisher immer nach Lebensmitteln gesucht. Nach Mitteln zum Zweck. Um was anderes zu erreichen: Um irgendwie mehr zu leben. Aber mit den Mitteln erreichen sie den Zweck nicht. Wirklich satt zu sein. Und diese Lebensmittelsuche ist zu ihrem Lebenszweck geworden. Aber so können sie sich nicht verschaffen, was sie sich nicht selbst geben können. Worauf sie angewiesen sind. Das können sie sich nur schenken lassen.

Ich verstehe nicht wirklich, was er meint. Mir scheint es, als wollte mich hier jemand therapieren, und ich werde langsam ungeduldig. (höher) Also sagen sie mal, muss ich hier erst mein Leben ändern, um mal ihr Himmelsbrot probieren zu dürfen?, frage ich und versuche mit Ironie meinen aufkommenden Ärger zu überspielen.

Der Mann bemerkt meinen Groll und lächelt, scheint sich aber davon nicht irritieren zu lassen. (Tiefer)  Das wird ihnen nicht gelingen. Jeder Versuch, das Himmelsbrot zu probieren, bleibt ihnen im Hals stecken. Wer das Himmelsbrot isst und dadurch nur länger leben will, oder besser, oder intensiver, am besten ewig, für den kehrt sich das ins Gegenteil um. Der isst das Himmelsbrot, als würde er sichim Paradies am Baum des Lebens vergreifen. Der wird es essen wie den Apfel, mit Neugier auf das Besondere.Der wird am Ende an seinem Essen sterben. Die Lebensmittel, alles wird ihm zur Todesursache. Auch das Himmelsbrot macht sie nicht unsterblich.

Ich verstehe gar nichts mehr. Ich fühle mich missverstanden. Belehrt und in die Ecke gestellt. (höher) Mir scheint, sie haben gar kein Interesse, ihr Brot an den Mann zu bringen. Wissen sie was, sie können es ja selbst essen, schließe ich etwas beleidigt. Doch der Mann hält mich zurück. (Tiefer) Bleiben sie. Ich möchte ihnen nur die Enttäuschung ersparen, die sie schon so oft gemacht haben. Es ist wirklich so, wie sie befürchten. Wenn sie hier rausgehen, sollen sie ein anderer sein. Nicht bloß ihre Eßgewohnheiten und Vorlieben sollen sich ändern. Das geht nicht, wenn sie bloß was anderes, besseres essen wollen. Das geht rein und wieder raus. Wie Worte, die zum einen Ohr reingehen und zum anderen wieder raus, aber nicht eindringen und bleiben. Das entscheidende ist nicht, welches Brot sie essen. Von wem sie es nehmen, darauf kommt es an. Aus wessen Hand sie es empfangen. Ob sie es sich selbst nehmen oder aus Gottes Hand. Immer wieder. Jeden Tag. –

(höher) Ich werde nicht für immer satt? entgegne ich enttäuscht. (Tiefer) Doch, aber nur, wenn Sie jeden Tag wiederkommen und sich aus seiner Hand immer wieder nehmen, was er für sie bereit hat. Das Himmelsbrot ist nicht haltbar. Es verdirbt sofort, wenn sie ein Depot anlegen wollen oder im Kühlschrank für sich verwahren. Himmelsbrot ist es nur, wenn sie es aus seiner Hand selber empfangen. Wie das Manna in der Wüste. Nicht das Brot macht satt, sondern dass sie Ihn selbst damit gewinnen. Sie müssen Gott selber zu sich nehmen. Wollen sie das von ganzem Herzen? Wollen sie Gott aufnehmen?

Ich merke, wie ich jetzt nie mehr zurück kann. Kein Brot wird mir je mehr schmecken, wenn ich mich jetzt verschließe und die Zähne zusammenbeiße. Ich brauche Ihn. Ich brauche Gott wie das tägliche Brot. Ich muss zu Ihm. Zu Ihm, der das Brot des Lebens selber ist. Ich halte die Hand auf. Ich sage nichts mehr. Der Mann legt mir etwas in die Hand. Das Himmelsbrot. Es schmeckt nach nichts, schlimmer, es schmeckt modrig, nach Tod. Ein dünnes Blättchen, das mir an der Zunge klebt, das ich kaum herunterbekomme.

(Tiefer) So oft ihr davon esst, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis Er kommt, sagt der Mann.

Erst langsam werde ich verstehen, wer das ist, der sich hingegeben hat und von sich sagt, er sei das Brot des Lebens.

Aber als ich auf dem Nachhauseweg eine Currywurst esse und Gott selbst dafür danken kann, entdecke ich, wie ich auf einmal satt bin. Wirklich satt. Ich bin überrascht und von der Freude durchströmt, dass mir auf einmal alles zum Himmelsbrot wird. Und ich fange an, wirklich zu beten: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“

Amen.