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Predigt

14.11.21 – Armin Kistenbrügge – Nie mehr Camping

Leider gab es am 14. November ein Problem mit der Aufnahme, so dass es keine Podcast-Version der Predigt gibt. Dafür hat uns Armin die Textversion zur Verfügung gestellt:

Predigt über 2. Kor 5,1-10 – „Nie mehr Camping“

am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, 14.11.2021 in Greifenstein und Edingen

Liebe Greifensteiner (Edinger) Geschwister!

„Wir sind hier nicht zu Hause. Das ist nur provisorisch. Nur für kurze Zeit“, beruhigte die Mutter ihre Kinder. Ich weiß auch nicht, woher sie die Hoffnung nahm, denn sie wohnten schon lange hier im Flüchtlingslager. In Zelten. Sie hassten es. Das war kein Campingurlaub. Sondern wie eine Durchreisestation, an die sie sich nicht gewöhnen wollten. Auch wenn die Kinder gar nichts anderes kannten. Sie waren einfach noch zu klein, als sie hierher kamen. Und immer, wenn einer den Lagerkoller kriegte, fing die Mutter wieder an erzählen: „Eines Tages, ihr werdet’s sehen, da müssen wir nicht mehr zelten. Dann haben wir ein Haus. Ein festes, wo’s nicht reinregnet und nicht zieht. Mit fließend warm und kalt Wasser. Und einem Spülklo. Und wir müssen nie mehr umziehen. Ihr werdet sehen.“

Das ist die Sehnsucht. Nach einem Zuhause. Nach Heimat. Dass einen einer abholt und nach Hause bringt. Und keiner kann einen mehr vertreiben. Und man muss um seinen Platz nicht mehr kämpfen. Wie in den Gospels: „swing low, sweet chariot, coming for to carry me home.“ Das ist sogar selber Gospel, also die gute Nachricht, die frohe Botschaft, nämlich: „Es gibt ein Zuhause für immer für dich. Und im Vergleich dazu ist alles hier, dein ganzes Leben Camping ohne Isomatte und Schlafsack, egal wie solide dein Leben gebaut ist. Das ist die Sehnsucht des Volkes Gottes, egal aus welcher Zeit. Die haben in Gottes Geschichte ja auch mehr oder weniger im Zelt angefangen. Kennt ihr diese Sehnsucht? Die Sehnsucht der Seele nach einem Dach überm Kopf, eben nicht nur hier. Sondern der Himmel soll deiner Seele ein Dach überm Kopf werden. Darum geht’s heute. Mit dieser Sehnsucht möchte ich euch heute neu anstecken.

Hört auf den Predigttext, aus dem 2. Korintherbrief, Kapitel 5, die Verse 1 bis 10. Überschrift: „Nie mehr Camping.“

„Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel. Im gegenwärtigen Zustand seufzen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden. So bekleidet, werden wir nicht nackt erscheinen. Solange wir nämlich in diesem Zelt leben, seufzen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit so das Sterbliche vom Leben verschlungen werde. Gott aber, der uns gerade dazu fähig gemacht hat, er hat uns auch als ersten Anteil den Geist gegeben. Wir sind also immer zuversichtlich, auch wenn wir wissen, dass wir fern vom Herrn in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zuhause sind; denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende. Weil wir aber zuversichtlich sind, ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein. Deswegen suchen wir unsere Ehre darin, ihm zu gefallen, ob wir daheim oder in der Fremde sind. Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat.“

Komm. Hand aufs Herz. Wer hat bei uns noch die Sehnsucht, umzuziehen? Vom Zelt in die Villa. Brauchen wir nicht, weil wir den Wohnkomfort irgendwie ja schon gewohnt sind. Ich habe eher den umgekehrten Eindruck: Der Gedanke löst Abstiegsängste aus: „Irgendwann musst du ausziehen aus deinem Schöner-Wohnen-Heim, und dann gibt’s für dich nur noch den vorübergehenden Platz im Pflegeheim, und dann wird dein Zuhause feuchtkalt ohne Fußbodenheizung vier Handbreit unter der Erde. Das Gegenteil von Geborgenheit. Irgendwie ist es umgekehrt bei uns: Keiner will weg. Bei uns suchen die Leute im Zeitlichen nach dem Ewigkeitswert, und im Ewigen sehen sie das Unbehauste, das Gegenteil vom Dach überm Kopf.Bei uns fühlt sich das Leben an wie ein Besuch im Einkaufscenter, du irrst umher und packst ein, alles so schön bunt, und irgendwann musst du zahlen. Und kannst nicht. Und die ganze Zeit versuchst du das Ende hinauszuzögern. So lange bleiben wie möglich. Will jeder. Dass unser Leben irgendwie ein Provisorium ist: Wer uns sieht, wie wir leben, würde uns das nicht glauben.

Warum ist das eigentlich bei uns so? Klar, es sind auch die äußeren Umstände.Den meisten geht es einfach gut. Oder noch besser. Äußerlich. Das tauscht man nicht gern. Es ist eher die Ausnahme, dass einer sagt: „Ich halts hier nicht mehr aus. Ich krieg den Lagerkoller.“ Und sich auf die Ewigkeit freut.

Früher hatten Menschen eine Lebenserwartung (lasst euch das Wort einen Augenblick auf der Zunge zergehen: „Lebenserwartung“) von sagen wir 60 Jahren. Plus Ewigkeit, die die ganze Zeit schon gegenwärtig war und den Lebenshorizont bestimmt hat. Heute ist da kein Horizont mehr. Sondern eine Abbruchkante. Heute wollen alle hundert werden. Minus Ewigkeit. In die Jahre muss man deshalb alles reinpacken, was geht.

Denn welche Erwartung für unser Leben haben wir wirklich, außer der Lebenserwartung, auf das, was danach kommt?Ich glaube, viele haben echte Verlustängste beim Gedanken an die Ewigkeit: Zuerst verlierst du die Haare. Dann wird dein Gedächtnis schlechter. Und dann musst du den Führerschein abgeben. Und dann verlierst du dein Leben. Irgendwann. Alles was dich erwartet, ist Verlust. Das Leben wird weniger. Nimmt nicht zu. Auf dich wartet nicht Vollendung, sondern Zerfall.

Und dann ist da noch was, was einem die Freude am Umziehen in die Ewigkeit erschwert. Die Aussicht, dass du dann nackt vor Gott stehst. Und du nichts mehr verbergen kannst. Es kommt alles raus. Nackt kommste auf die Welt – und nackt gehst du wieder. Heißt es doch. Und kannst an Gepäck nichts mitnehmen. Noch nicht mal Kochgeschirr und Zelt. Und dann stehst du vor Gott, im Adamskostüm, und schämst dich, weißt gar nicht, was du gleichzeitig alles bedecken willst. Du schämst dich, weil du nicht aus dem Paradies kommst, sondern aus dieser Welt, und dich dreckig gemacht hast.

Du fühlst dich wie Wilhelm Vogt, der Hauptmann von Köpenick, der arme Knastbruder, der bei seinem Schwager unterkommt, als er aus der Haft entlassen wird. Die beiden Männer unterhalten sich über ihr Leben, und da bricht es aus dem armen Schlucker heraus, seine Angst: „Und denn, denn stehste vor Jott, dem Vater. Und der fracht dir ins Jesichte. „Wat haste jemacht mit deim‘ Leben? Und denn muß ick sagen: „Fußmatten, die hab ick jeflochten in’ Jefängnis!“ Aber Jott sagt dir: „Jeh wech“ sagt er. „Ausweisung; sagt er. Dafür hab ick dir det Leben nicht jeschenkt. Det biste mir schuldig. Wo ist et? Wat haste damit jemacht?“

Das ist die Angst. Die aus der Scham wächst. Seit Adam und Eva: „Was habe ich mit meinem Leben gemacht?“ Gott wird mich fragen, was ich mit meiner Zeit gemacht habe, mit meiner Kraft, damit, was er mir geschenkt hat an Begabungen.Befürchte ich jedenfalls. Und ich fühle mich so wie ein Junge, der das ganze Wochenende am Computer verdaddelt hat statt rauszugehen oder Hausaufgaben zu machen, und dann fragt ihn die Mutter Sonntag Abend: „Was hast du die ganze Zeit gemacht?“ –

„Wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden“: So fühlt sich das an. Das ist, was von dem Stück vom Apostel Paulus im Gedächtnis hängen bleibt. Und als Wochenspruch dient. Dabei verbreitet Paulus doch eigentlich Zuversicht und scheint sich drauf zu freuen. Auf seinen Umzug, auf seine Auswanderung. Warum eigentlich?

Das kann doch nicht daran liegen, dass er von sich denkt: „Ich hab alles richtig gemacht, keine Zeit verplempert auf der Erde, und jetzt freu ich mich auf die Belohnung.“ Bei Paulus steht in jedem Brief das genaue Gegenteil. Der schreibt immer wieder: „Ich müsste mich ganz hinten anstellen, wenns um Belohnung ginge. Ich war der beste Spieler in der Gegenmannschaft. Und was ich hier im Leben erreicht habe, ist sowieso alles schon Gottes Verdienst.“

Was ihn zuversichtlich macht, ist nicht seine Lebensleistung. Nicht der Blick zurück. Sondern der Blick nach vorne. Es muss daran liegen, was Paulus erwartet. Eben nicht seine Ausweisung wie beim Hauptmann von Köpenick. Sondern das Gegenteil: Statt Ausweisung Einbürgerung.

Genauso zuversichtlich darfst du auch sein! Egal wie deine Lebensbilanz ausfällt. Echt: Auch dein Asylantrag wird angenommen. Wenn du bis zu einer Auswanderung aus diesem Leben einen Antrag auf Einbürgerung im Himmel gestellt hast. Für den Antrag brauchst noch nicht mal ein Formular. Du kannst völlig formlos sagen: Nimmste mich auf, Gott, trotzdem, trotz allem?“

Dann stehst du in der Halle, wo sie alle ankommen, die Auswanderer. Wie in Ellis Island, auf der Insel vor Manhattan, wo die armen Iren, Deutschen und Italiener ankamen, und sich auf die neue Welt freuten.

Aber du hast immer noch Angst vor dieser Einbürgerungsbefragung. Im Himmel. Dass du ausgewiesen wirst, so wie du aussiehst, so wie der Hauptmann von Köpenick.„Jetzt müssen wir uns alle nackt ausziehen und werden untersucht“, denkst du. Aber dann kommt einer, der gibt dir neue Sachen. Schöne, weiße Sachen. „Die alten Klamotten könnt ihr gerne in Zahlung geben“, sagt er. „Dafür kriegt ihr hier noch den Zeitwert. Für die Sachen, die ihr mitgebraucht habt. Auch für euren Rucksack, vollgepackt mit Erreichtem, Verdiensten, Niederlagen und Versäumnissen. Die Sachen, für die ihr euch abgerackert habt: das Auto, die Urlaube, die Ausbildung, euer Vermögen.Ihr könnt sie in Zahlung geben und bekommt dafür, was ihr verdient.“ Und deine Schulden werden angerechnet auf das, was du geschenkt bekommen hast. Von Gott.

Du guckst in dein Gepäck. „Also so betrachtet wird das nicht viel sein bei mir“, denkst du. Es fällt dir schon viel leichter, dein ganzes Lebensgepäck abzugeben. Alles, woran du so gehangen hast, was du nicht aufgeben wolltest und konntest, das kommt dir jetzt so vor wie olle Campingartikel. Die nur von zwölfe bis Mittag halten. Was du immer für Lebensqualität gehalten hast, stellt sich als ziemlich notdürftig heraus, im Vergleich zu der Geborgenheit, die auf dich wartet. Ich meine damit nicht den Luxus, der dich erwartet. Sondern das Gefühl: Du bist zu Hause. Für immer. Ich meine den letzten Vers von Psalm 23: „Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“

Du kannst deine alten Sachen ausziehen. Und fühlst dich nicht nackt, sondern wie neu geboren. Die neuen Sachen passen dir. Sie liegen schon für dich bereit. Freu dich, dass Gott dich so sehen wird. Neu eingekleidet.

Und dann. Dann stehst du wirklich vor Ihm. Vor Jesus. Es ist, als würdest du in einen Spiegel schauen: Du siehst dich selber, aber zugleich ihn, so ähnlich ist er dir. Oder du ihm. Er trägt dasselbe wie du. Erst jetzt begreifst du, was du tragen darfst: Die gleichen Sachen wie er. Die Jesus zu Ostern an hatte.Und wenn Gott dich so sieht, dann sieht er zugleich Jesus. So wird er dich anschauen. Und du musst dich nicht mehr schämen. Du kannst strahlen. Und dich freuen.

Schon beim Überziehen merkst du, wie mit diesem Kleid auch das Leben von Jesus dich umhüllt. Deine sterblichen Reste. Es ist wirklich genau anders herum, als wir immer dachten: Dass am Schluss der Tod das Leben einschließt und verschlingt. Dass der Tod am Ende gewinnt, und wir verlieren. Unser Leben, unsere Würde, alles.

Dabei ist es genau anders rum, seit Jesus auferstanden ist. Seitdem steht das Leben am Ende. Seitdem hat die Liebe das letzte Wort. Was dein Ende zu sein scheint, ist Durchgangsstation. Was deine endgültige Ausweisung aus deiner Heimat zu sein schien, entpuppt sich als Umzug vom Zeltlager ins Einfamilienhaus. Du gehörst zur großen Familie Gottes. Du wohnst mit im Vaterhaus. Und dein Bett ist schon bezogen. Und der Tisch gedeckt. Leute, es war nämlich genau anders rum: Es sah so aus, als wäre Jesus der Verlierer gewesen, der vom Tod verschlungen wird wie ein wehrloses Opfer. Dabei hat er den Tod genau dadurch bekämpft, in dem sich hat einhüllen lassen von ihm, um ihn von innen zu verwandeln. Und nur die leere Hülle zurückzulassen. Was bleibt, für die Ewigkeit, ist nicht der Tod, sondern dieses Leben, das den Tod hinter sich gelassen hat. Deshalb wird dein Tod vom Leben von Jesus umhüllt. Was auf dich wartet, ist dein Zuhause. Was du zurück lässt, ist die Fremde, in der du dich bloß vorübergehend eingerichtet hattest. Und du wirst erleichtert sagen: Nie mehr Camping im Vorläufigen. Amen.