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Predigt

24.07.22 – Armin Kistenbrügge – Im Wandel leben (2)

Hier gibt es den Audio-Podcast von Teil 2 der Predigtreihe „Im Wandel Leben“

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Und hier noch in Textform:

Predigt: Im Wandel leben, Teil 2 (Römer 6,3-11)

Am 6. Sonntag n. Trinitatis, 24.7.2022 in Greifenstein und Edingen

Liebe Greifensteiner (Edinger) Geschwister! „Die Rente ist sicher!“ – Könnt ihr euch noch an Norbert Blüm, den Arbeitsminister erinnern, wie er diesen Satz an die Plakatwände der Republik gekleistert hat, öffentlichkeitswirksam, damit es alle glauben, 1986, im vergangenen Jahrtausend?

Ich finde, wenn man sich heute an das Zeitgefühl damals erinnert (oder sich das von so Oldies wie mir erzählen lässt), merkt man deutlich, wie sich die Zeiten geändert haben. Frag heute mal eine junge Frau der Generation Praktikum nach der sicheren Rente, die vor sich ein Arbeitsleben in halbprekären Solo-Selbständigkeiten hat. Die fragt zurück: „Was war nochmal Rente?

Wir leben in unsicheren Zeiten. Habe ich schon vor zwei Wochen gesagt. Heute geht’s damit noch weiter. Ab und zu merkt man es, wie sich alte Gewissheiten sang- und klanglos in Wohlgefallen aufgelöst haben:4 „Heizung ist kein Problem“ zum Beispiel. 4 Strom kommt aus der Steckdose, Wasser aus dem Hahn, Gas fließt und Rudi Carrell singt „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“

Wie unsicher und schwankend der Boden geworden ist, auf dem wir stehen, merkt man auch den alten politischen Gewissheiten an: 4 „Don’t worry, America ist behind you“ stimmt einfach nicht mehr. Die deutsche Vollkasko-Mentalität, dass man sich in Deutschland in Sachen Sicherheit einen schlanken Fuß machen konnte, weil die Amis es im Zweifelsfall richten, sind vorbei. Und jetzt sind die USA ein tiefgespaltenes Land, wo die eine Hälfte der anderen an die Gurgel will und ein erheblicher Teil der Bevölkerung rassistisch und rechtspopulistisch denkt und einer Verschwörungserzählung glaubt, die nachweislich erstunken und erlogen ist. 4 Noch eine pulverisierte Gewissheit: Vom einigen Europa als Erfolgsgeschichte, von der man sich gar nicht vorstellen konnte, dass sie mal auf der Kippe stehen oder scheitern könnte, politisch oder wirtschaftlich. Aber wenn infolge der wirtschaftlichen und finanziellen Krisen Italien so pleite geht wie Griechenland und rechtspopulistisch an der Nase rumgeführt wird und die nächste französiche Präsidentin im Grunde eine Faschistin auf Stöckelschuhen sein wird, dann gute Nacht Wertegemeinschaft.

Krise ist nicht mehr die Ausnahme, sondern der neue Normalfall geworden, hat man den Eindruck. Hinter diesen Beobachtungen, wie sich die Zeiten ändern, und den Sorgen, wo das alles hinführt, stehen große Erzählungen. Narrative. Die unsere Vorstellungskraft und die Welt, in der wir leben, formatieren. Und damit auch vorgeben, welche Lösungen oder Auswege oder Alternativen wir uns wünschen oder ausdenken können.

Ich sehe hinter der Rede von der Zeitenwende eine Untergangserzählung. Und dahinter schlicht die Vorstellung, dass unsere Zeit abläuft. So wie bei einer Sanduhr. Die Zeit läuft. Ab. Und immer mal wieder kommt einer und sagt: „Es ist fünf vor Zwölf“, mittlerweile kann man sich nicht mehr einigen, ob es schon nach zwölf oder noch vor Zappenduster ist. Diese Erzählung beherrscht heimlich unser Denken und Hoffen. Sie geht so: Alles geht den Bach runter. Die Gegensätze werden größer, die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf, man verlernt den Dialog und brüllt sich in den sozialen Medien nur noch ins Ohr und so weiter.

(Dieses Narrativ ist nicht neu. Es ist so alt die Geschichte. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war es ähnlich bestimmend mit Oswald Spenglers These vom „Untergang des Abendlandes“. Spengler war ein Vordenker des Nationalismus, so wie heute vielleicht der Strippenzieher der rechtsextremen identitären Bewegung, Götz Kubitschek. Neues Buch in seinem Verlag, empfohlen vom Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke: „Systemfrage. Vom Scheitern der Republik und dem Tag danach“.)

„Herr Kästner, wo bleibt denn das Positive?“ wurde der Kinderbuchautor nach dem 2. Weltkrieg gefragt, und hat geantwortet: „Ja, wo bleibt es denn?“ Versuche, Erfolgsgeschichten, die einen motivieren und beflügeln, dagegenzusetzen und positives Denken bei der Bekämpfung des Hungers, der Säuglingssterblichkeit, von sogenannter „good governance“ im politischen Bereich: Kommen gegen dieses Narrativ nicht an.

Und jetzt? Wie gehen wir im Glauben damit um? Ich habe vor zwei Wochen ja angefangen, mit euch zu überlegen, was unser Glaube zu dieser Zeitenwende und den unsicheren Zeiten, in denen wir leben, zu sagen hat. Gibt es noch eine andere Möglichkeit, als genau ins gleiche Horn zu tuten, mit den Schultern zu zucken und lapidar zu sagen: „Ich habs euch ja schon immer gesagt, wir leben halt in der Endzeit.“ Und dann spielen wir eine weitere Runde Zeitzeichendeuterei.

Aber das ist nicht das Narrativ, das unser Glaube anzubieten hat. Die Bibel will uns auf keiner Seite Angst vor dem Untergang machen oder den Teufel an die Wand malen. Diese Zeichen sollen uns gerade nicht verunsichern, sondern bestärken! Je schlimmer es aussieht, desto größer soll unsere Hoffnung werden! Nicht die Verzagtheit! Wenn sowas wie Endzeit in der Bibel zur Sprache kommt, dann immer und ohne Ausnahme als Hintergrundfolie, um den Verunsicherten Mut zu machen. Die Bibel kennt überhaupt keine eigenständige Idee vom Weltuntergang. Es geht dabei immer um das Happy End ganz am Schluss, um den Sieg der Liebe über den Tod, des Friedens über den Krieg.

Wir haben im Glauben wirklich eine ganz andere Erzählung. In der er es sogar eine andere Zeitrechnung gibt!Unsere Zeit läuft nämlich nicht ab. Sie läuft auf Gottes Kommen zu. Ab jetzt läuft eure Zeit anders rum.

Der Apostel Paulus sagt: Ihr sollt so leben, als hättet ihr das Schlimmste schon hinter euch. Nicht vor euch. Im 6. Kapitel vom Römerbrief erklärt er den Lesern: „Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Jesus Christus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft?So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem neuen Leben wandeln. (…) Haltet euch für Menschen, die für die Sünde gestorben sind und für Gott leben in Jesus Christus.“

Paulus erklärt: „Ihr seid doch getauft. Wisst ihr eigentlich, was das für euch bedeutet? Da wird das Ende des Lebens schon vorweggenommen und schon mal vorab die Auferstehung gefeiert. Die Taufe ist nämlich sozusagen eine Inszenierung des eigenen Todes. Der Täufling stirbt symbolisch, zusammen mit Jesus. Und geht wie Jesus auf die Auferstehung zu. Danach unterliegt sein Leben nicht mehr der alten Zeitrechnung und Abfolge: Erst leben, dann sterben. Das ist die ablaufende Zeit, wie in einer Sanduhr: Deine Zeit läuft ab, und am Ende musst du bezahlen. Aber ab jetzt ist es umgekehrt: Du lebst, als wäre dein Leben schon abbezahlt. Du lebst auf deine Erneuerung hin. Eben umgekehrt: Dein Leben geht nicht langsam kaputt, sondern wird langsam heil!

Da wird die Geschichte vom Ende her gelebt, mit der Gewissheit: Dein Leben hat ein Happy End. Du kannst dein Leben nicht mehr versauen. Jedenfalls nicht aus Gottes Blickwinkel. Darauf kannst du bauen.

Ich finde das wirklich eine tolle Perspektive für mein Leben. Aber auch für unser gemeinsames Leben. Für unsere Geschichte: Die eben schon längst unentwirrbar die Geschichte Gottes geworden ist! Wir können uns nicht nur persönlich, sondern alle zusammen von dieser Erzählung bestimmen lassen! Das heißt: Unsere Welt läuft auf Gottes Heilung zu!

Zusammen auf das gute Ende hin zu leben und der toxischen Geschichte, dass alles den Bach runtergeht, unseren Glauben entgegenzusetzen, das bedeutet dann: Wir gehen in den Fußstapfen von einem, der die Lebensrichtung umgekehrt hat, der nicht gegen, sondern für die anderen gelebt hat.

Das hat Konsequenzen: } Wir steigen aus dem Rattenrennen: „Wer ist toller, stärker, reicher, attraktiver“ aus. Das ist im Grunde der Motor unserer Wirtschaft. Stattdessen fragen wir „Wen kann ich stärken, bereichern, wem kann ich Mut machen? } Wir müssen uns in der verbleibenden Zeit, die abläuft, nicht mehr vordrängeln, sondern können die anderen vorlassen. 4 Wir pflanzen ein Apfelbäumchen, wenn die Zeichen auf Untergang stehen, statt noch alle Schäfchen ins Trockene zu bringen und uns wie ein Prepper den Keller vollzubunkern.} Wir müssen nicht mehr um jeden Preis gewinnen und unseren Wohlstand verteidigen, sondern gewinnen Vertrauen. } Wir leben nicht mehr nach der Devise: Was hab ich denn vom Leben? Bald bin ich tot, und bis dahin darf ich nichts anbrennen lassen. Sondern: Bald wird dieses neue Leben, das mit Jesus Christus begonnen hat und in uns lebt, immer klarer erkennbar.

Und wenn wir selber am Ende sind, dann fängt Gott erst richtig an. Auch die Welt geht nicht zu Ende, sondern kommt mit ihm ans Ziel. Auf uns wartet nicht die allmähliche Zerstörung, sondern die Vollendung.

Für die anderen, die immer noch nach den alten Regeln leben und sich von dem alten Narrativ bestimmen lassen, sieht dieses Leben wie Verlieren aus. Aber wenn die Spur, der ihr folgen wollt,

irgendwann abbricht, dann wisst ihr: Ihr wart nicht auf dem Holzweg. Euer Weg ist nicht zu Ende. Lasst euch ins Ziel tragen. Nach Hause. Amen.