Hier ist unsere Aufnahme vom Karfreitagsgottesdienst aus der Kirche in Edingen mit Pfr. Dr. Armin Kistenbrügge.
Predigttext
Alles am Ende oder alles auf Anfang
Predigt über Kolosser 1,13-20, am Karfreitag, 7.4.2023 in Greifenstein und Edingen
Liebe Edinger (Greifensteiner) Geschwister!
Man muss erst ein bisschen Abstand haben. Bevor man wirklich was sieht. Wer zu nah rangeht, erkennt nichts. Wenn einer stirbt, und du bist dabei, dann ist es erst mal nicht zum Aushalten.Wenn du ihn auch noch geliebt hast, siehst du durch deine Tränen hindurch erst mal gar nichts. Dann ist das ein persönlicher Weltuntergang. Du kannst kaum sprechen. Und was sagen erst recht nicht.
Da ist zuerst der Schock: Das kann doch nicht wahr sein! Und dann braucht es Zeit, bis man den Verlust begreifen kann. Bis man sagen kann, wie er einem fehlt. Wie weh das tut. Erst dann fängt der Weg an, auf dem man langsam ausdrücken lernt, was diese Person einem bedeutet hat, die da gestorben ist. Bis man ein Loblied auf ihn singen kann. In das man die ganze Liebe legen kann, die er oder sie einem geschenkt hat. Die man behalten möchte. Die sich verwandeln muss, damit sie bleiben kann, die Liebe.
Ich glaube, bei den Jüngern und den Freundinnen von Jesus war das auch so. Da war erst mal gar nichts. Außer Taubheit und Leere am Karfreitag. Nicht mal Trauer. Nur Tränen. Das war ein langer Weg, bis die das einigermaßen begreifen konnten, was dieser Tod bedeutet.
Denn selbst, als sie schon wussten, dass Jesus auferstanden ist, war sein Tod am Kreuz für sie nicht weniger schmerzhaft und unbegreiflich.Es hat gedauert, bis seine Jüngerinnen und Jünger Worte fand für dieses abgründige Geschehen. Dafür mussten sie erst Abstand gewinnen. Und Frieden.
Solche Worte möchte ich euch heute vorlesen. Das ist ein Loblied auf Jesus Christus. Und auf das, was sein Tod für uns bedeutet. Das ist der Predigttext für diesen Karfreitag, aus dem Kolosserbrief im 1. Kapitel die Verse 13-20. Eine Hymne auf Jesus.
„Gott hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes, Jesus Christus.Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden.Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand.Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten; so hat er in allem den Vorrang. Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.“
Wenn man das am Karfreitag liest, oder hört, kommt einem das vor wie eine riesige Kreuzesinschrift. Aber so viel Text hätte auf die Tafel am Kreuz gar nicht gepasst. „Wahrlich, dieser ist wirklich Gottes Sohn gewesen“, soll ein römischer Hauptmann unter dem Kreuz gesagt haben. Aber das hier ist noch viel mehr. Wenn man diese Hymne auf Jesus unmittelbar nach der Szene von der Kreuzigung hört, scheint das gar nicht richtig zu passen. Oder könnt ihr euch vorstellen, am Kreuz Gott zu loben? Das wird schnell kitschig. Wie in so einem Sandalen-Jesus-Film, wo am Ende eine strahlende Abendsonne die Kreuzesszene verklärt und aus dem Off eine Sprecherstimme erklärt, was Jesus alles vollbracht hat.
Das passt erst mal überhaupt nicht zu der Szene, die man sehen kann: So einzigartig sieht Jesus in seiner letzten Stunde überhaupt nicht aus. Wer Jesus dort am Kreuz hängen sieht oder sich das vorstellt, der sieht Furchtbares: Einen, der leidet, der sich nicht helfen kann, der stöhnt, der klagt, der Durst hat und Schmerzen, der stirbt, ein Hingerichteter zwischen zwei anderen Namenlosen, wie so unendlich Viele vor ihm und nach ihm, einer von x Millionen. Keinen Einzigartigen. Der sieht den Höllenalltag. Der jeden Tag auf der Welt passiert. Und nicht den Tag, der alles geändert hat.
Das ist das, was man vor dem Vorhang in dieser Szene sieht.Ein Tod, der tragischer kaum sein könnte. Aber wenn man den Vorhang beiseiteschieben könnte, käme zum Vorschein, was das alles bedeutet. Man bekäme eine Ahnung von der Tragweite dieses Geschehens. Dieser Vorhang vor der Szene hat sich für die Jünger und die ersten Christen erst langsam gelüftet. Und auch für uns ist das ein Weg, bis man begreift, was das bedeutet. Was das mit mir zu tun hat. Warum der Tod von Jesus was für mich ändert. Für mein Leben und mein Sterben. Das entscheidende, was man sieht, wenn der Vorhang vor den Augen weggezogen wird, das ist: Da hängt Gott selber am Kreuz, mit seiner ganzen Fülle – und ist in die Leere gestürzt. Das Leben weicht aus dem Gekreuzigten, in den eigentlich Gott mit seiner Herrlichkeit eingezogen ist. Damit zieht sich die Herrlichkeit Gottes von der Erde zurück. Der Himmel und die Erde gehen wieder getrennte Wege. Wenn das stimmt: dass einen der unsichtbare Gott ansieht, wenn man Jesus ins Gesicht schaut, mehr noch: dass man Gott ins Herz sehen kann, wenn Jesus einen ansieht, was ist dann, wenn der da am Kreuz hängt? Ist dann alles kaputt? Alles zu Ende? „O Welt, sieh hier dein Leben am Stamm des Kreuzes schweben, dein Heil sinkt in den Tod“, hat Paul Gerhardt das versucht auszudrücken. Haben wir gerade gesungen.
Tod ist immer so was wie ein persönlicher Weltuntergang. Aber wenn das stimmt, dass Jesus von Gott nicht zu trennen ist, dann ist Gott – weg. Dann ist die Welt Gott los geworden. Und bekommt ihn nie wieder. Wenn der Schöpfer von seiner Schöpfung umgebracht wird, dann ist das entweder der Selbstmord der ganzen Welt. Dann ist das das der Anfang vom Ende der Welt. Ob sie’s nun merkt oder nicht.
Oder das ist der Anfang von etwas ganz Neuem. Von einem Frieden, der wirklich die Welt rettet. Von einer Versöhnung, wo nur noch Hass übrig geblieben war. Von einer Neuschöpfung, wo alles kaputt war und nicht mehr zu reparieren.
Genau das will diese Hymne sagen. Der Tod am Kreuz ist nicht das Ende von allem, sondern in diesem Ende steckt der Anfang von einem Frieden, der alles übersteigt und wieder zusammenbringt, was unheilbar zertrennt war. Gott und Menschen. Himmel und Erde.
In diesem Christus-Hymnus aus dem Kolosserbrief klingt das so: „Christus hat am Kreuz durch sein Blut Frieden gestiftet.“ Was heißt das? Wie gesagt: Wenn man zu nah ran geht, sieht man alles verschwommen. Man braucht ein Stück Abstand. Um sagen zu können, warum der Karfreitag ein „Good Friday“ ist.
Ich möchte euch zum Schluss eine Übersetzung anbieten. Wie das gemeint ist, dass das Leiden und der Tod von Jesus der ganzen Welt Frieden und Versöhnung bringt. Denn das ist, was wir am dringendsten brauchen. Denn unsere Welt war schon immer ein Kriegsschauplatz.Wo am Ende jeder verliert. Man versucht zu lieben, zu teilen, die Erde zu erhalten, Frieden zu stiften und zu vergeben, aber am Ende reicht es nie. Der Planet wird trotzdem zugrunde gerichtet, weil die Menschen es einfach nicht schaffen, versöhnt miteinander und mit der Natur in Frieden zu leben, sondern nur in Konkurrenz zu ihr.Und am Ende steht immer der Tod. Als müsste man am Ende den Preis fürs Leben und Verbrauchen und Ausbeuten zahlen. Und die Liebe stirbt mit. Dieses Verhängnis, dem keiner entkommen kann, diesen ganzen Komplex nennt die Bibel mit einem Wort: Sünde. Dass die Welt von Gott getrennt ist und ohne ihn am Ende nur untergehen kann. Jeder von uns.
Lässt sich das ändern? Wenn’s immer schon so war? Gott hat die Welt jedenfalls nicht geschaffen, damit sie am Ende kaputt geht. Und er hat dich und mich nicht geschaffen und geliebt, damit wir am Ende wieder verschwinden. Zunichte werden.Das kann nicht das Ziel der Werke Gottes sein! Am Ende sollte die Liebe stehen. Die schon ganz am Anfang da war. Die der Ursprung von allem ist. Und das Ende für immer.
Aber wie lässt sich der Hass und der Kampf gegeneinander und der Tod als die letzte Konsequenz dieser Abwesenheit von Liebe überwinden? Das geht nur, wenn Gott selber diese Welt wieder zu sich hin zurück liebt. Gott kann das Böse nicht aus der Welt schaffen, indem er das Böse tötet. Sondern nur, indem er sich vom Bösen töten lässt und es dabei nicht loslässt, damit es mit ihm untergeht. Die große Versöhnungs-Story der Bibel erzählt, wie Gott das vollbracht hat, indem er um die Welt, wie sie ist, und um den Tod und um die Sünde keinen Bogen gemacht hat. Sondern sich mit der Welt und mit uns in ihr so sehr identifiziert hat, dass er in unsere Haut geschlüpft ist, dass er Mensch geworden ist und sogar unsere Schuld angenommen hat. Um sie zu überwinden. Und zwar dadurch, dass er sie mit sich in den Tod reißt. Die Liebe Gottes hat den Tod also so doll umarmt, dass dem Tod die Luft ausgegangen ist!
Jesus hat die Sünde mit in den Tod gerissen! Sie wird nicht nur ertragen. Sie wird dadurch aus der Welt geschafft. Die Sünde ist damit tot. Sie ist am Kreuz mitgestorben. Genauso hat Gott die von ihm durch die Sünde getrennte Welt wieder zu sich zurückgeholt. Also „versöhnt“. Das geht nämlich nicht einfach so, „Schwamm drüber, lass uns wieder Freunde sein“. Das ging nur, weil einer die Konsequenzen getragen hat, die die Trennung von Gott am Ende bedeutet. Wenn es beim Tod von Jesus am Kreuz sowas wie einen Plan Gottes gegeben hatte, dann diesen: Allein so konnte das Böse wirklich besiegt werden. Was davon jetzt noch übrig ist, ist zwar immer noch schlimm genug, aber eigentlich nur noch die leere, tote Hülle. Das Böse ist besiegt. Das Böse tut nur so, als wäre es noch allmächtig und allgegenwärtig. Und es täuscht uns sehr geschickt. Aber heute – an Karfreitag wird der Trug entlarvt und sie wären Verhältnisse werden sichtbar. Es steht nichts mehr zwischen den Menschen und Gott. Nicht mal der Tod, der normalerweise immer das letzte Wort hat.
Jetzt steht zwischen beiden nur die Liebe.
Die Liebe, die Jesus Christus selber ist.
Sie steht am Ende. Und sie war der Anfang von allem.
Denn die Liebe Gottes macht hinter das Leben keinen Punkt, und das war’s, sondern sie macht ein Komma, und schreibt sich selber dahinter weiter.Und das ist wirklich ein Loblied auf Jesus und aufs Leben und die Liebe wert. Amen.