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Predigt

25.11.18 – Armin Kistenbrügge – Ewigkeitssonntag

Predigt vom 25.11.2018 von Armin Kistenbrügge am Ewigkeitssonntag

Predigt über Jesaja 65, (16e) 17-19 (20-25)

Liebe Greifensteiner (Edinger) Geschwister!

Vergessen können: das ist eine Begabung, die ich immer besser beherrsche. Manchmal erschrecke ich, wenn ich merke, wie vergesslich ich geworden bin. Wenn man‘s allerdings gar nicht mehr merkt, ist auch nicht mehr so schlimm:“Zwei alte Männer treffen sich im Park zum Tauben füttern. Beide sind schon so was von vergesslich. Sagt der eine: Ich geh’ mir bei Tschibo nen Kaffee holen. Soll ich dir was mitbringen? Klar, sagt der Kollege auf der Parkbank, mir auch einen. Aber mit Milch und zwei Stück Zucker. Und ein Puddingteilchen. Kannste dir das merken? – Jaja. – Neenee, schreib‘s dir auf, sonst vergisst du die Hälfte! – Nee, komm, das schaff ich schon noch. Nach 10 Minuten kommt der wieder.In der Hand ein halbes Hähnchen. Sein Kollege: Na toll. Und wo sind die Pommes?“

So vergesslich bin ich noch nicht, ich kann euch beruhigen! Aber was ich mir nicht aufgeschrieben habe, ist weg. Das liegt manchmal wahrscheinlich auch daran, dass mein Arbeitsspeicher mal wieder einfach voll ist.Aber ein leiser Schauer bleibt trotzdem bei mir zurück. Geht’s euch manchmal auch so? Ich meine jetzt nicht die unter 50 jährigen.

Scherz beiseite: Zu vergessen und vergessen zu werden ist eine Angst, die schon an das Geheimnis des Todes rührt. Der Schriftsteller Arno Geiger beschreibt seinen Vater in dem Buch „Der alte König in seinem Exil“ so:“Lange Zeit weigerten wir uns zu akzeptieren, dass der Vater so etwas Selbstverständliches wie das eigene Haus vergessen hatte. Eines Tages wollte sich meine Schwester sein Bitten und Drängen nicht länger anhören. Alle fünf Minuten sagte er, dass er zu Hause erwartet werde, das war nicht zum Aushalten. Unserem damaligen Empfinden nach überstiegen seine endlosen Wiederholungen jedes erträgliche Maß. Helga ging mit ihm hinaus auf die Straße und verkündete: „Das ist dein Haus!“ – „Nein, das ist nicht mein Haus“, erwiderte er. „Dann sag mir, wo du wohnst.“ Er nannte die korrekte Straße mit Hausnummer. Triumphierend zeigte Helga auf das Hausnummernschild neben der Eingangstür und fragte: „Und, was steht hier?“ Er las ihr die zuvor genannte Adresse vor. Helga fragte: „Was schließen wir daraus?“ „Dass jemand das Schild gestohlen und hier angeschraubt hat“, erwiderte der Vater trocken – was eine etwas phantastisch anmutende Deutung war, die aber keineswegs jede Schlüssigkeit vermissen ließ.“ Was sollst du dann noch sagen? Wer einen Angehörigen hat, der langsam ins Vergessen sinkt, in die Demenz, der kennt das.

Was ist mit deinem Leben, wenn deine Erinnerungen langsam ins Dunkel sinken? Und was ist mit deinem Tod, wenn sich niemand mehr an dich erinnern kann?

Das ist aber nur die eine Seite. Umgekehrt ist nämlich nicht vergessen zu können manchmal die Hölle. Wenn du den vergangenen Horror immer und immer wieder durchleben musst, dein Trauma; wenn du die Schmerzen in den Gliedern und in der Seele nicht loswirst, wenn deine Schuld dich festhält und festlegt, und ein Phantomschmerz bleibt und nie weg geht. Es bleibt ein Loch zurück, das nicht gefüllt werden kann. Mit dem du nur leben lernen kannst. Trauernde fühlen sich manchmal so. Wie Amputierte.

Beides brauchst du: Dich erinnern und auch vergessen zu können.

Zu beidem soll euch der Predigttext heute am Ewigkeitssonntag helfen. Zum heilsamen Erinnern und zum heilsamen Vergessen.Hört auf das Wort des Propheten Jesaja, Kapitel 65,17-19.

Dort spricht Gott selber. Und du kannst seine Trauer hören: Über die Not und die Plackerei und die Vergeblichkeit, die ein Leben bedeuten kann; über das Sterben und den viel zu frühen Tod geliebter Menschen,Und du kannst seine Liebe hören, die nicht totzukriegen ist, trotz allem. In diesem Prophetenwort spricht Gott: “Ja, vergessen sind die früheren Nöte, sie sind meinen Augen entschwunden.Denn schon erschaffe ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Man wird nicht mehr an das Frühere denken, es kommt niemandem mehr in den Sinn.Nein, ihr sollt euch ohne Ende freuen und jubelnüber das, was ich erschaffe. Denn ich mache aus Jerusalem Jubel und aus seinen Einwohnern Freude. Ich will über Jerusalem jubeln und mich freuen über mein Volk.Nie mehr hört man dort lautes Weinen und lautes Klagen.“

Liebe Geschwister, ich weiß nicht, wie oft ich den Satz schon gehört habe: “Der Tod und das Sterben, das ist alles ganz natürlich, das gehört zum Leben dazu“. Ja, ja. Das ist der Allgemeinplatz, dem alle kopfnickend zustimmen.

Aber was sagt Gott eigentlich zum Sterben und zum Tod? Hat der sich auch damit abgefunden? In der Bibel wird der Tod jedenfalls auch der letzte Feind genannt. Und Gott gibt den Kampf gegen ihn nicht auf. Er hat bis aufs Blut gekämpft. Und gewonnen. Das ist doch die gute Botschaft! Bitte versteht mich recht: Sterbende begleitenund sie nicht alleine lassen, das ist wichtig! Aber bei aller gut gemeinten Fürsorge traut man sich irgendwie nicht mehr darüber nachzudenken, was denn eigentlich ist, wenn ich tot bin.

Ich glaube, deshalb ist auch so schwer zu ertragen, und es macht einem Angst, wenn Menschen in tiefer Umnachtung sterben: Wenn einem Mensch sein eigenes Gedächtnis und damit sein eigenes Leben schon jetzt langsam aus den Händen gleitet. Gerade wenn es um das Gedächtnis geht, merke ich, dass darin noch kein Trost liegt: In diesem diesseitigen “Kümmer dich ums Leben und um ein würdiges Sterben, aber rede nicht über den Tod.“ Ich finde keinen Trost darin, wenn ein Mensch nur in meinen Erinnerungen fortlebt. Dann darf ich nichts vergessen! Dann ist das Vergessen die kalte Bestätigung der schlimmsten Form von Sterblichkeit und Endlichkeit: Dass von mir und von dir nichts bleibt. Nicht mal ein paar Daten auf einer Festplatte. Ob Gott mich dann auch so vergisst, das ist für mich dann eine entscheidende Frage!

Im Psalm 31 heißt es: In deine Hände befehle ich – ja was denn: Meinen Körper? In deine Hände befehle ich meine Seele, könnte man noch meinen. Aber in dem Psalmvers steht: In deine Hände befehle ich meinen Geist! Mein Gedächtnis, über das ich noch nie Herr war, wenn ich ehrlich bin. Meine Lebensgeschichte, mit allem was dazugehört, jede Sekunde, jeden Augenblick, was sich keiner merken kann. Ich kann mir weder vornehmen, etwas zu vergessen, das geht nach hinten los, und auch, woran ich mich erinnern möchte, ist nicht einfach meine Entscheidung.Gut, dass Gott auch meinen Geist und nicht bloß meinen Körper und meine Seele behutsam aufhebt.

In diese Hände Gottes kannst du dein Leben übrigens schon in diesem Leben legen. Halt ihm dein Leben hin und bitte ihn, dass er drauf aufpasst, weil du nicht alles behalten kannst. Sag ihm das: Nicht erst am Sankt Nimmerleinstag. Das kannst du gleich jetzt tun: Wenn wir Abendmahl feiern. Gott hält dein Leben nämlich schon jetzt fest, wenn du ihn lässt, und zwar deshalb, weil Gott nämlich schon jetzt damit anfängt, Neues zu schaffen. Auch in deinem Leben. Es ist nicht so, dass du dein Leben ganz alleine ohne Gott lebst und du es ihm dann anbietest, und Gott guckt sich das an und sagt: “Also hier, das kann so bleiben, den Rest kann man vergessen.“ Furchtbare Vorstellung.

Hast du es noch im Ohr, was Gott bei Jesaja gesagt hat? Man erwartet irgendwie ein Wort wie: „Siehe, eines fernen Tages mache ich alles neu“ oder so. Aber da steht: „Schon erschaffe ich einen neuen Himmel und eine neue Erde.“ Schon jetzt hat er angefangen. Auch bei dir.

Gott hält dich im Gedächtnis und lässt dich nicht fallen, nicht bloß im Leben, sondern gerade im Tod. Das ist allerdings was anderes als etwas für immer und ewig zu speichern, festzuhalten, festzulegen, nie mehr ändern zu können. Als wäre der Preis fürs Erinnern die ewige Wiederbelebung des Schmerzes.

Was im Gedächtnis Gottes ruhen darf, wird verwandelt: Es bleibt nicht auf ewig das Alte: Es wird neu. Erinnern ist übrigens ein schöpferisches Geschehen. Weiß die Hirnforschung. Mit jedem Erinnern formst du. Und auch Gottes Gedächtnis hat etwas Schöpferisches.Wenn dein Leben in den Händen Gottes liegt, der alles aufhebt, was dich ausmacht; alles, was du selbst schon längst vergessen hast, dann macht erst er aus all deinen Lebens-Einzelteilen etwas Ganzes. Neues. Wunderbares. Und vielleicht wird erst dann klar, wie reich es gewesen ist. Oder wie arm, trotz allen Erfolges und aller Urlaubsträume.

Gott denkt an dich. Weil er im Leben an dich gedacht hat, deshalb auch im Tod. Und an wen Gott denkt, für den hat der Tod den Stachel der Auslöschung verloren. Aber, wie gesagt, zu diesem bewahrenden Gedächtnis gehört das heilsame Vergessen. Wenn Gott dir vergeben hat, dann hat er deine Schuld auch vergessen, dann ist sie wirklich weg! Ausgelöscht. Und er sagt zu dir: „Was, das sollst du getan haben? Kann ich mich gar nicht dran erinnern, ich hab immer auf Jesus geschaut, als ich an dich dachte.“

Und auch du kannst vergessen, loslassen: deine Traurigkeit. Den Verlust. Die Schmerzen. Letzte Woche habe ich euch gesagt, dass Gott dem Leid sein Leid entgegengesetzt hat und ihm damit eine Grenzte gesetzt hat. Deshalb steht das Leid nie am Ende. Hier setzt sich das fort: Das Leid und der Tod haben nicht das letzte Wort. Am Ende steht die Freude. Und Gott hat alles andere vergessen: “Tod, Sterben? Nie gehört. Gibt’s so was? Kann nicht sein. Meine Idee ist, dass die Menschen mit mir zusammen sind, in Ewigkeit. Und sich mit mir freuen.“

Das Gute ist hier wieder: Nach dieser „himmlischen“ Freude kannst du dich schon jetzt ausstrecken, du musst nicht bis in Ewigkeit drauf warten. Du kriegst schon Anteil daran, wenn du mit Gott zusammen Abendmahl feierst, als wäre alles schon geschafft. Als wärst du schon im Himmel. Weil Gott schon angefangen hat, alles neu zu machen. Amen. (Kanzelsegen)