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Predigt

08.09.19 – Armin Kistenbrügge – Heil und Heilung – Echt und handgreiflich

Armin Kistenbrügge: Predigt am 08.09.2019 über Markus 8, 22-26

Predigt über Mk 8,22-26: Heil und Heilung – Echt und handgreiflich

Liebe Greifensteiner (Edinger) Geschwister!

Klar wollen die Menschen was von Gott merken. Sie wollen ihn irgendwie bei der Arbeit erleben. Aber sie fragen nach ihm wie ein Zuschauer, der auf der Couch sitzen bleibt, und nicht wie ein Leprakranker, den buchstäblich keiner mehr anrührt und der Jesus die Hand hinhält und mit ihr sein ganzes Leben. Oder wie der Blinde, um den es jetzt geht. Es geht in all den Heilungsgeschichten nicht um Wunder, bei denen man zugucken kann und hinterher „Boah toll“ sagt. Sondern um den Gott, der sich vom menschlichen Elend anstecken lässt, der dir auf die Pelle rückt und sich anfassen lässt und wirklich hilft. Nicht nur symbolisch.

So eine Szene erzähle ich euch kurz. (Markus 8, 22-26)

Manche Wunder von Jesus waren „Symbolhandlungen“, mit denen Jesus deutlich machen wollte, wer er ist. Zeigen, dass Gott etwas Neues anfängt, dass und wie Menschen „neu“ werden, nicht nur eine Krankheit geheilt wird, sondern mit ihr die Welt ein Stück heiler wird: So was wie die kleinen Anfänge einer großen Veränderung. Wenn Jesus sprach, dann hatte Gott das Wort. Wenn er handelte, war Gott dabei, die Welt zu erneuern. Verkrüppelte konnten sich auf einmal wieder aufrichten, konnten tanzen, statt durchs Leben humpeln zu müssen. Alte mit grauem Star konnten wieder sehen, und sahen die Wahrheit. Psychisch Kranke wurden ruhig. Jesus reparierte das Elend nicht bloß, das ihm täglich begegnete. Bis zum nächsten Patienten. Er verschenkte Vergebung. Einfach so. Einen Neuanfang. Er verschenkte neues Leben. Buchstäblich: Es war so, als würde sich die alte Hoffnung endlich erfüllen, die der Prophet Jesaja vor Jahrhunderten schon an das Kommen des Messias hatte: „Blinde sehen wieder, Behinderte hüpfen vor Freude rum und die Armen haben was zu feiern“ (Jesaja 35,5-6). Und die Lämmer werden nicht mehr gefressen, weil nur die Starken überleben.

Aber manchmal hat Jesus auch einfach nur geholfen. Ohne Hintergedanken, pädagogischen Anspruch und theologischen Überbau. War einfach da für die Leute. War ihr Arzt. Ihr Heiland. Jesus hatte überhaupt keine Berührungsängste. Er bückte sich und fasste Menschen richtig an. War jemand, der sich von sündigen Menschen berühren ließ. Von Unreinen. Von Kranken. Und es gab keinen, der sich jemals Jesus mit Furcht genähert hätte! Nicht einen, für den er zu heilig oder zu göttlich gewesen wäre.

Einmal lud man einen Blinden bei ihm ab. Legte ihn einfach hin. Vor seinen Füßen. Der Arme lag da wie ein Häufchen Elend. „Bitte berühr ihn einfach! Nur einmal anfassen“, baten sie. Aber Jesus bückte sich, nahm ihn bei der Hand, ließ die andern stehen, ging mit ihm ein Stückchen, der Blinde ließ sich führen, ging einfach mit. Vor dem Dorf kümmerte er sich richtig um den Armen. Eine richtige „Behandlung“. Wie ein Arzt. Jesus hatte nicht bloß ein paar gute Worte: „Gehe hin, dir ist geholfen, steh auf, auf mein Wort hin kannste wieder laufen“ oder so. Jesus krempelte sich die Ärmel auf. Und spuckte sich in die Hände. Und dann … rieb er mit seinen Händen über die Augen des Mannes. Mit Geduld und Spucke.

„Und: Wie isses jetzt? Besser?“, fragte Jesus seinen Patienten. Der Mann blinzelte, guckte in die Sonne, guckte in den Schatten und antwortete: „Ja, Nee, nicht wirklich, nur ein bisschen. Da ist alles noch total verschwommen. Das da sieht aus wie ein Baum, bewegt sich aber, muss also jemand sein, der da lang geht. Also gut ist anders.“ Reagiert man so auf ein Wunder? Doch wohl eher auf eine Therapie. Aber Jesus hatte Geduld. Das hier war nicht erste Hilfe, schnelle Rettung, sondern echte Heilung. Ein Heilungs-Prozess. Er legte seine Hand noch mal auf die Augen des Blinden. Lange. Der Mann entspannte. Es war, als ob der Mann klarer sah, wenn Jesus ihm die Augen zuhielt. Danach war alles OK. Der Mann konnte klar sehen. Die Sprechstunde war vorbei, Jesus schickte den Mann nach Hause, aber nicht ins Dorf, um anzugeben oder Heiler-Latein zum Besten zu geben, sondern um wirklich zu leben.

Leute, beim Evangelium geht es um echtes Leben. Nicht bloß um Symbolisches. Die meisten halten den Glauben für die Erklärung, die dir der liebe Gott für dein Leben gibt. So eine Art Gebrauchsanweisung. Dabei geht es um wirkliches Leben. Glauben ist eine Lebensweise. Und nicht der Überbau. Es geht beim Evangelium um echtes Leben und echte Heilung. Wenn wir von Gottes Heil erzählen, dann mit Gesten und Handlungen, die auch heilsam sind und nicht immer bloß so tun als ob: Segnen. (nicht bloß um den Segen bitten) Die Hände auflegen. Salben. Das ist wie Streicheln. Küssen. Waschen. Das alles hat Jesus gemacht. Nicht bloß drüber geredet. Wenn ich hier von Heilung erzähle, dann doch mit der Hoffnung, dass Menschen wirklich geholfen wird. Dass sie heil werden. An Leib und Seele.

Und wenn’s dauert, wenn es mehrere Versuche braucht, egal. Wenn was heilt, dann ist das sowieso immer eine Entwicklung. Und kommt nicht Zackbumm vom Himmel gefallen und alles ist anders. Sondern in kleinen Schritten, auch wenn Gott kommt, setzt er einen Schritt nach dem andern. Wenn ein Mensch zum Glauben findet, dann ist das meistens auch eine Entwicklung. Und zuerst ist das undeutlich, was los ist, und wird erst langsam immer klarer. Zwei Schritte vor, einen zurück.

Und genau danach sehne ich mich. Dass wirklich was passiert. Ich möchte wirklich einen Gott zum Anfassen. Der Menschen berührt und sich berühren lässt. Es geht mir nicht darum, Gott zu fassen zu kriegen. Um ihn festzuhalten. Ich will selber gehalten werden.

Früher hätte mir das gereicht: Das zu hören, dass Gott mir nahe sein will. Und ich hätte theologisch korrekt gesagt, dass es mehr nicht geben kann. Nichts zu fühlen. Nichts zu fassen. Ich habe aber irgendwann gemerkt, dass ich selber dabei unnahbar bleibe. Mich nicht wirklich berühren lasse. Und ich habe dabei gemerkt, dass das daran liegt, dass ich ein Loch in der Seele habe. Das ich nicht selber füllen kann. Dass ich nicht heil werde, wenn Gottes Kraft mich nicht berührt. Deshalb strecke ich meine Hand aus, damit er sie nimmt, mich nimmt und führt. So wie den Blinden.

Bis jetzt habe ich aber selber auch bloß davon erzählt. Und habe doch eigentlich nichts, was ich euch in die Hand geben kann. Ich will hier aber nicht runtergehen, ohne euch auch was zu Fühlen zu geben. Ich finde es nämlich nicht schlimm, wenn unser Glaube auch was zum Anfassen braucht. Zum Festhalten. Das hat nichts mit unappetitlichem Aberglauben zu tun. Sondern mit unserer Sehnsucht nach Nähe. Sie ist in der Tiefe eine Sehnsucht nach Gott.

Es ist ein Fingerkreuz. (Zeigen und in die Hand nehmen). Das kann man wirklich in die Hand nehmen. Seine Finger darum schließen. Natürlich: Das ersetzt nicht die Botschaft. Es erinnert an sie. Es erinnert daran, dass Gott uns am Kreuz am Nächsten war. Und macht dafür offen, sich wirklich von Gott berühren zu lassen.

Ich lege euch das Kreuz in die Hände und hoffe, dass ich es nach dem Gottesdienst wieder zurückkriege. Und wenn nicht, wenn heute einer hier ist, der es wirklich braucht, auch OK. Gebt es weiter. Eine dem anderen, während ich euch noch ein letztes sage.

Ihr könnt Gott nämlich wirklich berühren. Und ich sage euch, wie er sich anfühlt. Ganz wirklich. Aber Vorsicht: Es könnte sein, dass ihr euch hinterher erst mal die Hände waschen wollt. Er riecht nach Schnaps oder nach Fieberschweiß. Er fühlt sich knochig an, mit Falten. Er hat dreckige Fingernägel.

Mit jeder Kranken, der wir die Hand auflegen und mit ihr beten, berühren wir Gott. Mit jedem Armen, dem wir was in die Hand geben, geben wir Gott die Ehre. Mit jedem alten Menschen, dem wir den Löffel halten, geben wir zu spüren und zu schmecken, wie freundlich der Herr ist. Mit jedem Kind, das wir auf den Arm nehmen, ertappen wir Gott auf frischer Tat.

Jede Handreichung, jede Umarmung, jede Gabe, jede handgreifliche Hilfe, jede Berührung kann zur Gottesbegegnung werden.

So fühlt Gott sich an. Nicht kuschelig. Aber voller Liebe. Das hat mit dem Kreuz zu tun. Das ihr in Händen haltet. Fasst ruhig an. Aber Vorsicht: Wer Gott die Hand gibt, macht sich die Hände schmutzig. Amen.