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Predigt

29.12.19 – Armin Kistenbrügge – Gott will im Dunkel wohnen

Predigt über Jesaja 50,10: Gott will im Dunkel wohnen

Am Sonntag nach Weihnachten, 29.12.2019 in Edingen

Liebe Edinger (Greifensteiner) Geschwister!

Es ist ganz dunkel bei uns. Ich weiß nicht, wie die das in Skandinavien machen, im Dezember und Januar, mit dieser Dunkelheit. Ich finde, auch aus Lichtgründen ist das mit der Weihnachts-Beleuchtung eine gute Sache. Ich würde diese dunklen Monate sonst nicht aushalten. Aber dann ist nach Weihnachten das schöne Glitzern irgendwie weniger. Und spätestens jetzt merke ich, wie trostlos es in Greifenstein im Winter sein kann, wenn kein Schnee liegt und das Licht tagelang keinen Weg durch die Nebelsuppe auf dem Berg findet. Und mein „Nach-Weihnachts-Blues“ verstärkt sich noch. Vielleicht flüchten auch deswegen so viele im Winter in den Süden, wo die Sonne scheint.

An der Stelle ist mir nochmal der Monatsspruch für den Dezember eingefallen. Der ist auch aus dem Propheten Jesaja, so wie die Schriftlesung, Kapitel 50,10. Das ist aus dem zweiten Klagelied des sog. „Gottesknechts“: Der klagt die Leute in Israel an, dass sie seine Botschaft von Gottes Gnade und Liebe nicht hören wollen. Er hört auf Gott und hat sein Ohr ganz nahe an Gottes Mund, und was bekommt er von den Leuten dafür: Kloppe. Aber Jesaja lässt sich nicht den Mund verbieten. Er hat eine frohe Botschaft für alle Verzagten: „Wer im Finstern wandelt und wem kein Licht scheint, der hoffe auf den Namen des Herrn und verlasse sich auf seinen Gott.“

Im Finstern tappen: Das tun wir. Das könnte für das ganze Land gelten. In Deutschland wird’s dunkler, finde ich.

} Hass ist der neue Umgangston. Und wird lauter. Im Netz. Auf den Straßen und überall da, wo man früher Rücksicht genommen hat. Eine normale Diskussion, wo man sich nicht einig ist und Argumente austauscht, gibt’s kaum noch ohne irgendeine Beleidigung oder eine Zote unter der Gürtellinie.

} Das Wort „Gemeinsinn“ ist auf die UNESCO-Liste für bedrohte Wortarten gesetzt worden. Das Wort „Gemeinwohl“ auch. Die Tatsache, dass du bei der Feuerwehr bei einem Einsatz nicht mehr Hochachtung, sondern genervtes Pöbeln erntest, wenn der Einsatzwagen die Straße versperrt, ist dafür ein Symptom. } Fehlt nicht mehr viel, dann schlagen sie sich wieder die Köppe ein auf den Straßen bei der Demo dafür und der Gegendemo dagegen. Die Gesellschaft ist politisch so gespalten wie lange nicht. Die einen driften nach ganz weit rechts, so dass die anderen, die sich nach einer Wiederbelebung der Solidarität sehnen und es nicht hinnehmen wollen, dass die Reichen immer reicher werden und das als wirtschaftliches Naturgesetz gilt, schon als linksradikal gelten. } Das Wort „Demokratie“ wird schon wieder mit abfälligem Tonfall gebraucht und ist entweder ein anderes Wort für Stillstand oder ein Selbstbedienungsladen, und die öffentlich-rechtlichen Medien werden gerne in Verbindung mit dem System, dem demokratischen, genannt. Systemmedien. Eine Wortschöpfung von Joseph Goebbels.} Wer noch in Kommunen oder Landkreisen Verantwortung übernimmt, wird mit verbaler Gülle überschüttet oder setzt manchmal sogar sein Leben aufs Spiel. Und das Wort „Bürger“ kommt nur noch in Verbindung mit „Wut“ im aktiven Wortschatz vor: „Wut-Bürger“.

In Deutschland ist es dunkler geworden. Die Polizei kann für Sicherheit sorgen wie sie will, das Unsicherheitsgefühl bleibt: „Ich geh‘ abends nicht mehr raus. Vor allem nicht an diesen dunklen Ecken vorbei“, sagen verängstigte Leute in den Städten. Und die Populisten rufen neue „No-go-Areas“ aus und bieten sich als Vertrauensanker an. Da dann gute Nacht Dunkeldeutschland.

Wisst ihr, was mich trotzdem nicht verzagen lässt? Weil Gott die dunklen Ecken auf der Welt nicht meidet. Im Gegenteil: Gott kommt auf die Welt, so dunkel wie sie ist. Und wartet nicht erst, bis er Menschen antrifft, so wie er sie haben will. Die immer brav gewesen sind. Er kommt sozusagen an der dunkelsten Stelle auf die Welt. Da, wo es nicht mal Straßenbeleuchtung gibt. Am Ende der Welt. Das ist die Weihnachtsbotschaft! Es kann gar nicht so dunkel sein bei uns, dass Gott nicht trotzdem käme!

Wenn Gott ins Dunkel kommt, das ist, als hätte einer in die Schwärze, wo man die Hand nicht vor Augen sehen kann und die Orientierung völlig verloren hat, eine Kerze angezündet. OK; das klingt erstmal wirkungsloser Romantik. Nach Lichterketten auf dem Kirchentag. Aber mir kommt die Geschichte in den Sinn, wo ein Königssohn als Test die Aufgabe bekommt, mit einem Euro fünfzig loszuziehen und sich was einfallen zu lassen, wie man damit den größten Saal des Palastes füllen könnte. Und er kauft ein paar Teelichter bei IKEA. Und zündet sie an, als es draußen dunkel wurde. Und der Raum füllt sich. Mit Licht.

Natürlich wird die Welt dadurch nicht schlagartig strahlend hell. Aber durch den Kerzenschein ist die Schwärze nicht mehr undurchdringlich. Man gewinnt neue Orientierung. Und Vertrauen. Das Licht in der Dunkelheit ist immer schon ein Bild für die Hoffnung gewesen.

Aber das ist auch noch nicht alles. Das entscheidende ist, dass Gott nämlich im Dunkel bleibt. Und einem die Hand reicht, die man festhalten kann, wenn man selber im Dunkeln tappt. Oder einem vor der Finsternis graut. Und man sich in Dunkeldeutschland fürchtet. In der dunkelsten Zeit in Deutschland schrieb der evangelische Dichter Jochen Klepper ein Adventslied: „Die Nacht ist vorgedrungen“. Die letzte Strophe lautet: „Gott will im Dunkel wohnen / und hat es doch erhellt. / Als wollte er belohnen / so richtet er die Welt.“

Gott will im Dunkel wohnen. Das genau ist es, was mir zu dem Spruch aus dem Jesajabuch eingefallen ist. Das gilt auch für dich persönlich, wenn es um dich finster ist.

Aber wie geht das, im Finsteren zu sitzen und sich trotzdem auf Gott zu verlassen und auf ihn zu hoffen? Das kann ja auch so klingen, als würde man im dunklen Keller laut pfeifen.

Wie geht das, sich im Dunklen an Gott festzuhalten? Ich habe zwei seelsorgliche Hinweise für euch: } Das erste hat mit dem Licht zu tun, von dem ich gerade erzählt habe. Rück also deine Finsternis ein Stückchen näher an das Licht ran, weil das zwar leuchtet und dein Zimmer füllt, aber noch längst nicht die ganze Welt. } Und das zweite: Halte es aus, dass deine Finsternis dadurch nicht sofort taghell ausgeleuchtet wird. Meine Glaubenserfahrung ist, dass es bei mir nicht einfach hell wird, wenn ich mich an Gott festhalte. Meine Probleme werden nicht einfach gelöst. Die Krankheit ist auch noch da. Der Konflikt, in dem ich feststecke. Aber das alles, das ganze Dunkel, ist jetzt in der Nähe Gottes. Weil Gott nicht bloß bei denen ist, bei denen es sowieso schon hell ist, sondern umgekehrt: Gott will im Dunkel wohnen.

Das bedeutet für mein Dunkel: Es ist nicht ohne Gott. Das ist ja genau das, was mir mein Gefühl immerzu einredet: Wenn du Gott nahe bist, dann geht’s dir gut. Und wenn‘s dir schlecht geht, dann hat Gott sich abgewandt. Dann bedeutet Wohlergehen Segen und Leid und Elend das Gegenteil. Also Verlust von Segen. Das ist im Grunde so gottlos! Dagegen, gegen diese miese Botschaft der eigenen Psyche, muss man anglauben! Und sich das von Gott gesagt sein lassen: Wer im Dunkel sitzt, vertraue auf den Namen des Herrn!

Das kann konkret so aussehen, dass du deine Finsternis nicht mehr das letzte Wort lässt, sondern sie einfach in die Nähe Gottes stellst. Und den Kontrast stehen lässt. Dietrich Bonhoeffer hat das in einem Gebet so formuliert: „Gott, in mir ist es dunkel, aber bei Dir ist das Licht. Ich bin einsam, aber Du verlässt mich nicht. Ich bin mutlos, aber Du hilfst mir. Ich bin unruhig, aber Du schenkst mir Frieden. In mir ist Bitterkeit, aber bei Dir ist Geduld. Ich verstehe Deine Wege nicht, aber Du weißt den Weg für mich.“ Da stellt einer sein Elend ganz in die Nähe Gottes. Ohne den Kontrast aufzulösen. Aber seine Finsternis ist jetzt nicht mehr ohne Gott. Der im Dunkel wohnen will. Wenn Gott in eine Krippe kriechen kann, dann kriecht er auch bis zu dir, dort, wo du dich im Dunkel verkrochen hast und dich nicht raustraust. Amen.